Nackt und voll NS-Gift
Museum lüftet Geheimnis um die "Frau aus Gips"
Es sind diese besonderen Momente, wenn es einem Kleinstadtmuseum gelingt, einen scheinbar bedeutungslosen Fundus aus verstaubten Archivregalen zum Leben zu erwecken, bis er eine Geschichte erzählt, die weit über die lokale Ebene hinaus tiefe Einblicke in NS-Größenwahn, Günstlings-Karrieren unter Hitler und Nachkriegs-Lebenslügen gewährt. Mit der „Frau aus Gips“ ist dem Museum Starnberger See eine überaus spannende und zum Nachdenken anregende kleine Sonderausstellung gelungen.
Der „Adlermacher“
Alles fing damit an, dass Museumsleiter Benjamin Tillig einen Anruf vom Stadtarchiv erhielt. „Bei uns ist eine nackte Frau, die nicht hierher gehört.“ Auf dem lebensgroßen Gipsmodell eines klassischen weiblichen Akts fand sich etwas versteckt die Signatur Schmid-Ehmen und das Datum 1939. „Wer ist die namenlose Frau, und wie kommt sie in den Bestand?“, war die Frage, die Anstoß gab für Recherchen, die Erstaunliches zu Tage förderten. Bildhauer Kurt Schmid-Ehmen, Jahrgang 1901, der seinen Lebensabend in Starnberg verbrachte, hatte Karriere unter Hitler gemacht. Der besuchte ihn auch schon mal im Atelier und kaufte ihm Arbeiten ab. „Er zählte zur ersten Liga gleich nach Arno Breker und Josef Thorak“, so Tillig. Dass seine Arbeiten ganz dem Geschmack der Nazis entsprachen, hatte er schon mit dem Hitlerputsch-Ehrenmal an der Münchner Feldherrnhalle bewiesen. Schmid-Ehmen hieß im Volksmund auch der „Adlermacher“, denn er war der Designer des grimmigen Adlers als Hoheitszeichen für fast alle monumentalen NS-Bauten, vom „Haus der Deutschen Kunst“ in München über die neue Reichkanzlei in Berlin bis zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Einer der mächtigen Raubvögel hat auf dem Deutschen Museum in München die Sprengung 1945 überlebt, denn das Hakenkreuz ließ sich unkompliziert entfernen.
Kolossalstatue im „Goldenen Saal“
Aber wer ist das Mädchen? Recherchen ergaben, dass sie wohl ein Modell war für die Kolossalstatuen, die Schmid-Ehmen für ein weiteres monumentales Prestigeprojekt der Nazis anfertigen sollte, nämlich für Albert Speers „Goldenen Saal“ im Reichsparteitagsgelände, der wegen des Kriegsausbruchs nie eingeweiht wurde. Auch die vier doppelt lebensgroßen Figuren für die Nischen wurden nie produziert. Schmid-Ehmen hatte sie aber schon entworfen. In einer Ausgabe einer NS-Kunstzeitschrift konnte das entsprechende Foto identifiziert werden, das der Frau aus Gips bis aufs Haar ähnelt.
Der Bildhauer lebte ab 1947 in Starnberg. Von der Spruchkammer wurde er als „Minderbelasteter“ eingestuft und kam mit einer Geldstrafe von 200 Mark davon. „Wie viele hat er sich als unpolitischer Künstler stilisiert“, erklärt die Kunsthistorikerin Katja Sebald dazu. Dass er schon ganz früh in die NSDAP eintrat und in der SA aktiv gewesen war – geschenkt. Zusammen mit seiner Frau, der Konzertpianistin und Starnberger Merkur-Kritikerin Hetty Haelssig gelang ihm die nahtlose Aufnahme in die Starnberger Gesellschaft, darunter auch in den Kunstkreis Buzentaur. Den Zusammenbruch des NS-Regimes erlebte er als tiefen persönlichen Sturz und Sieg der verhassten Moderne. Die „Frau aus Gips“ stammt wohl aus seinem Nachlass und fand nach seinem Tod oder dem seiner Frau den Weg ins Archiv. Ein lebendig zu lesender Text, viele zeitgenössische Fotos und Zeitungsausschnitte sowie ein „Stunde Null Lab“ ergänzen die Ausstellung, die bis 15. November zu sehen ist.
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