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Rubrik: Gesamt · Ort: fuenfseenland
„Wir brauchen positive Signale“
Kino in Zeiten von Corona: Matthias Helwig fordert ein Ende der angstbeladenen Diskussion
Die deutsche Kinolandschaft ist vom Corona-Lockdown hart getroffen worden. „Wir mussten drei Monate schließen und haben am 15. Juni wieder aufgemacht“, erzählt Matthias Helwig, der die Breitwand-Kinos in Starnberg, Gauting und Seefeld betreibt. „Im Vergleich zu den Sommermonaten der vergangenen Jahre haben wir einen Rückgang von 80 Prozent zu verzeichnen.“ Seit 30 Jahren ist Matthias Helwig in der Branche tätig, eine Zeit wie gerade, hat er noch nicht erlebt. „Kino gibt es seit 1890 und seitdem hat es keine Kinoschließungen gegeben. Ich bin mir sicher, dass das Kino bleibt. Nur wie dies genau aussehen wird, das weiß ich nicht“, gibt er zu.
„Ein Kinobesuch ist nicht gefährlich“
Seiner Ansicht nach wird es darauf ankommen, wie viele Häuser die Krise überleben werden. „Auch in vielen anderen schlechten Zeiten sind die Menschen ins Kino gegangen“, betont er. Ein Kinobesuch sei nicht gefährlich, wenn man die Regeln einhalte. „Die meisten Menschen sind ja größtenteils sehr vernünftig. Ich kann ihnen in meinen Häuser die Sicherheit und ein gutes Gefühl bieten, wenn sie ins Kino gehen“, sagt Matthias Helwig. So etwas spreche sich herum und das sei genau das, was die Branche brauche. „Wir benötigen positive Signale, wenn wir die Menschen überzeugen wollen. Das Problem ist die Angst. Im Kino ist die Ansteckungsgefahr kleiner als in jedem Büro.“ Man setze sich hin, schaue den Film und rede in der Regel nicht. Und auch ein ausreichender Abstand sei gewährleistet, da die einzelnen Säle momentan ohnehin nicht ausgebucht werden dürfen.
„Mit einer Stimme sprechen“
Den Kinobetreiber, der im August und September ein Sommer-KinoOpen-Air im Starnberger Strandbad und das Fünf-Seen-Filmfestival veranstaltet hat, stört vor allem, dass die Kinobranche in Zeiten von Corona oft zu negativ dargestellt werde. „Grundsätzlich hatten wir bisher keinen einzigen Corona-Fall in den Kinos. Darüber wird aber nicht gesprochen. Wir sollten das viel mehr hervorheben, um den Menschen die Angst zu nehmen.“ Seine Branche habe in der Krise Fehler gemacht. Da sei zum einen die Tatsache, dass es zwei Verbände gebe, die die Interessen der Kinobetreiber vertreten. „Es wird mit zwei Stimmen gesprochen. Wenn man schlagkräftig sein will, muss man mit einer Stimme sprechen. So wie das zum Bespiel der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband macht.“ Die „Dehoga“ habe sehr viel richtig gemacht und Druck auf die Politik ausgeübt.
„Die Branche hängt am Tropf“
Bei den beiden Verbänden – dem „Hauptverband Deutscher Filmtheater“ (HDF KINO) und der „Arbeitsgemeinschaft Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater“ (AG Kino – Gilde e.V.) – sei eher das Gegenteil der Fall gewesen. Als Branche hätte man viel früher beginnen müssen, „dem Publikum das Kino wieder zurück in die Köpfe zu bringen“, wie Matthias Helwig sagt. „Zum anderen hätten auch die Verleiher darüber nachdenken sollen, welches Konzept sinnvoll gewesen wäre. Von daher fühle ich mich als Kinobetreiber sowohl von unseren Verbänden als auch von den Verleihern im Stich gelassen.“ Die Kinobranche sei existenzbedroht, obwohl von staatlicher Seite gut gefördert wurde. „Aber, und das muss man so sagen: die Branche hängt am Tropf. Für viele Kinohäuser ist aktuelle Situation katastrophal. Ich finde dafür fast keine Worte.“ Die Kinos seien menschenleer. Und keiner wisse im Grunde, wie es weitergeht.
„Kein Winter voller Angst“
Er selbst hatte seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen und konnte aufgrund staatlicher Unterstützung die Monate überbrücken. „Zudem wurde ich in diesem Jahr mit Kinoprogrammpreisen ausgezeichnet, weil ich über Jahre ein gutes Programm mache. Die Verleihung wurde vorgezogen, was mir mit meinen Häusern viel gebracht hat.“ Eine Krise zeige zudem immer auch die Schwachstellen eines Betriebes auf. „Und da nehme ich mich nicht aus, auch wenn ich immer gut gewirtschaftet habe“, betont der Kinobetreiber und Filmliebhaber. „Dennoch legt eine solche Krise den Finger in die Wunde. Deshalb habe auch ich nachgedacht, um bestimmte Dinge weiter zu verbessern.“ Einen zweiten Lockdown, davon ist Matthias Helwig überzeugt, wird es nicht geben . „Aber es darf auch kein Winter voller Angst werden, weil sich die Leute nicht trauen in geschlossene Räume zu gehen“, erklärt er.
„Politik hätte ein klares Zeichen setzen müssen“
Die Kultur gehöre zu den Menschen. Sie habe einen extrem hohen Stellenwert. „Das kann man nicht einfach abtun. Darauf wurde insgesamt viel zu wenig eingegangen. Kultur gibt den Leuten sehr viel, sie spiegelt im Grunde das Leben. Die Politik hätte hier ein klares Zeichen setzen müssen“, erklärt Matthias Helwig, der insgesamt neun Kinosäle hat. „Deshalb würde ich mir wünschen, dass von Seiten der Politik mehr mit Maß und Verhältnismäßigkeit kommunizieren wird und nicht mit Angst. Ich finde es gefährlich, die Angst immer weiter zu tragen. Angst geht in die Herzen und den Körper. Um die Angst loszubekommen, müssten viel positivere Signale vermittelt werden. Und dabei muss man nicht die Vorsicht aufgeben.“
„Das gibt es nur im Kino“
Dass es in der Filmbranche auch Unternehmen gibt, die als Gewinner aus der Krise herausgehen, weiß Matthias Helwig. Die Streamingdienste seien ja schon vor Corona als Konkurrenz da gewesen. „Wenn alles normal gelaufen wäre, hätte ich gesagt, dass passt schon“, sagt er. „Was ich jedoch schade finde ist, dass viele dieser Gewinner bei uns keine Steuern zahlen.“ Für ihn ist das Besondere und Wertvolle am Kino, dass sich die Zuschauer in eine Figur hineinversetzen können. „Sie leben während des Films das Leben mit und werden mit Emotionen konfrontiert, sie weinen und sie lachen. Die Leinwand umfängt einen, man kann abschalten und ist ohne Ablenkung – wie in einer anderen Welt“, schwärmt Matthias Helwig. „Das kann einem, gerade in einer Zeit, die immer schneller wird, kein Fernseher geben. Das gibt es nur im Kino.“
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