Abrechnung mit der Jodelindustrie
Tolle Fotoausstellung im Museum Starnberger See
Die junge Frau mit dem Kopftuch hat Hansi Hinterseer immer als Pappkameraden im Gepäck, indem sie auf einen ausrangierten Apotheken-Aufsteller das Gesicht des Stars des volkstümlichen Schlagers geklebt hat. So fährt sie von Konzert zu Konzert. Dann ist da Carmen aus der Schweiz. Das Konterfei ihres Idols ziert ihr bananengelbes T-Shirt, in ihrem Mund steckt ein Babyschnuller. In einer Stimmung zwischen Befangenheit und Selbstbewusstsein stehen zwei junge Männer in schlecht passenden Lederhosen vor der Kamera, sie heißen ganz im Ernst Reinhold Messner und Andreas Hofer, so wie die alpenländischen Volkshelden.
Doch Witzfiguren sind diese Menschen nicht, darauf legt Lois Hechenblaikner Wert. Der Tiroler Fotograf reist seit über 20 Jahren zu Großveranstaltungen der volkstümlichen Musik und porträtiert die Fans der Szene. Mit der Fotoausstellung „Volks Musik – Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit als Massenphänomen“ gibt der neue Leiter Benjamin Tillig seinen mutigen und gelungenen Einstand im Museum Starnberger See. Er sei durch eine Rezension in Spiegel Online auf Hechenblaikner und sein Werk aufmerksam geworden, erzählt Tillig in einem Pressegespräch, und habe den Künstler unbedingt nach Starnberg holen wollen. „Denn Heimat und Tradition, Natur und Gesellschaft sind seit jeher zentrale Themen im Museum.“
Einblicke in den Alpenschlagerwahnsinn
Hechenblaikner ist keiner, der die Menschen mit seiner Kamera „abschießt“, so wie die Paparazzi es tun. Er nimmt sich Zeit für jede Aufnahme, zufällige Schnappschüsse gibt es bei ihm nicht. Schon weil er wie sein historisches Vorbild August Sander noch mit einer analogen Plattenkamera fotografiert, die 20 Minuten für jedes Bild benötigt. Vorführen will der etwas sperrig wirkende Hechenblaikner die von ihm Porträtierten nicht, auch wenn sie dem Betrachter noch so skurril erscheinen: „Ich fotografiere sie so, wie sie das wollen“, sagt er. „Ich bewerte nicht.“ Dabei gelingen ihm originelle und kontroverse, aber auch traurige und entlarvende Einblicke in die „Jodelindustrie“ der „Alpinschlitzohren“, wie der 61-Jährige es nennt. Wenn ein feixender Hansi Hinterseer sich beispielsweise wie der Erlöser über einen See schippern lässt. Wenn Hunderte von Bussen auf dem Großparkplatz der Kastelruther Spatzen das Alpenpanorama verschandeln und die Fans in Massen zum Konzert pilgern.
„Hinter allem steckt eine zynische Geldmaschine“, redet sich Hechenblaikner in Fahrt. Für seine Protagonisten, die er zum Teil seit Jahren begleitet, hat er Sympathie und Verständnis. Viele private Tragödien hat er erzählt bekommen. Manche haben ihr letztes Geld ausgegeben, um sich wenigstens noch eine billige Souvenir-Krawatte ihres Idols zu kaufen und tragen sie stolz vor der Kamera. Andere haben sich aus Zeitungsartikeln eine ganze Traumkulisse zusammengebastelt. Was diese einsamen Herzen verbindet, ist das Bedürfnis nach emotionaler Zugehörigkeit, die sie in der Schlagerwelt mit ihrer scheinbar ursprünglichen und überschaubaren Welt zu finden hoffen und von der sie mit simpel gestrickten Mustern bedient werden. Die Ausstellung, die am 26. September eröffnet wird, läuft bis 12. Januar. Dazu gehört ein Rahmenprogramm. Besucher sind außerdem eingeladen, das Thema aus ihrer Sicht zu kommentieren
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