Außergewöhnliche Geschichtsstunde
Die erste Filmdoku zum Todesmarsch von Dachau
Mit seinem beeindruckenden Dokumentarfilm bewahrt Max Kronawitter die geschundenen KZ-Häftlinge, die Helfer in der Bevölkerung und diejenigen, die sich für die Erinnerungsarbeit einsetzen, vor dem Vergessen. Der berüchtigte Todesmarsch verlief von Dachau über Starnberg und Wolfratshausen Richtung Alpen, bis der Zug schließlich von US-Truppen befreit wurde. Der Film ist eine minutiöse Chronik der damaligen Ereignisse und liefert neue Einblicke in manch unerforschtes Kapitel. Eigentlich war die Dokumentation pünktlich zum 75. Jahrestag fertig, doch das Coronajahr 2020 machte eine Premiere unmöglich. Seitdem liegt die Dokumentation „Der Todesmarsch – Als das Grauen vor die Haustür kam“ in der Schublade. Schade für den Filmemacher Kronawitter, der geplant hatte, den Film zum Gedenken in den Kommunen entlang der Strecke zu zeigen. „Das soll aber nachgeholt werden“, verspricht der Regisseur, der die fertige Produktion der Öffentlichkeit nicht länger vorenthalten will und bereits jetzt als DVD herausbringt ( unter www.ikarus-film.de, dort ist auch ein fünfminütiger Trailer zu sehen).
Chronik und Wegstrecke
In Aufkirchen wurden drei Häftlinge erschossen und namenlos verscharrt, in Aufhausen wollte sich ein Häftling Brot erbetteln und lief dafür in ein Haus hinein. Die SS schoss ihm hinterher und erwischte stattdessen die Besitzerin. Wer aus Schwäche zurückblieb, war dem Tod geweiht. „Im Kopf war nur geh, geh, sonst wirst du abgeknallt“, erinnert sich Todesmarsch-Überlebender Abba Naor im Interview. „Man musste sehr konzentriert gehen und durfte nicht den Anschluss verlieren, das war gefährlich.“
Fotos gibt es vom Todesmarsch so gut wie keine. Eine große Ausnahme ist das Bild der versprengten Elendsgestalten, die sich in Häftlingskleidung und mit Decken über dem Kopf durch Percha schleppen. Geschockt von dem Anblick, hat sie der Anwohner Benno Gantner am 28. April 1945 heimlich vom Balkon aus fotografiert. „Das Bild hängt heute in Holocaust-Gedenkstätten auf der ganzen Welt“, weiß Kronawitter, der selbst in Eurasburg wohnt, einer weiteren Station des Zugs.
Flucht in Starnberg
Weniger bekannt ist hingegen die Geschichte des Priesters Herrmann Scheipers, dem es unterwegs gelang, zu entkommen und im Starnberger Pfarrhof Zuflucht zu finden. „Aber anstatt sich versteckt zu halten, bat er den verwunderten Fluchthelfer, ihm andere Kleider und Lebensmittel zu geben“, berichtet Kronawitter von dem außergewöhnlichen Mut des Geistlichen. „Und so verkleidet stellte er sich unerschrocken abends an die Straße und wartete auf den Todeszug, dem er gerade entronnen war, und reichte das Essen an seine erschöpften Kameraden weiter.“ Dass Kronawitter überhaupt von der Geschichte erfuhr, war reiner Zufall – und letztlich der Auslöser zum Film. Der Regisseur hatte den betagten Priester vor Jahren bei sich zu Besuch gehabt. Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause fragte sein Gast plötzlich: "Sind wir denn schon an Starnberg vorbei?" Als Kronawitter daraufhin nachbohrte, erzählte ihm der Geistliche alles von der damaligen Flucht und zeigte ihm die Orte von damals.
Die Bevölkerung
Geredet wurde in der Bevölkerung all die Jahre wenig über den Elendszug durch die Dörfer. Kronawitter berichtet von denen, die halfen, oft unter Lebensgefahr. Aber auch davon, dass die halbverhungerten „Geistergestalten“ nicht überall auf Mitleid stießen, weil bei den Leuten teils die Angst umging, dass die Scharen an plötzlich befreiten „KZlern“ über sie herfallen und sie ausplündern könnten.
Ergänzend zu den Gesprächen ist der Film mit nachgestellten Szenen illustriert, von Menschen in Häftlingskleidung, wobei das typische Klappern der Holzpantinen auf den regennassen Straßen zu hören ist. Zu den Zeitzeugen, die Kronawitter interviewt, zählt auch Dr. Ekkehard Knobloch. Der Gautinger Altbürgermeister gab den Anstoß zu den Wegdenkmälern. Die Bedeutung der Erinnerungsarbeit ist mittlerweile auch in den Kommunen angekommen. Praktisch alle Gemeinden und Städte entlang der Strecke, von Dachau übers Würmtal und Starnberg bis ins Oberland, haben den Film finanziell unterstützt.
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