"Jeder ist gleich viel wert"
50 Jahre Lebenhilfe Starnberg: Mutige Eltern ergriffen die Initiative
„Es ist ein emotionales Ereignis und keine nüchterne Zahl“, sagt Geschäftsführerin Edith Dieterle über 50 Jahre Lebenshilfe Starnberg. Welche bahnbrechenden Fortschritte in der Förderung von Menschen mit Behinderung gemacht wurden, lässt sich nur ermessen, wenn man die Anfänge kennt. Pädagogische Konzept galten noch in der Nachkriegszeit als überflüssig, ersatzweise herrschte das Versorgungsprinzip „satt und sauber“ vor. Auch im Landkreis Starnberg waren in den 1970er Jahren noch keine geeigneten Einrichtungen vorhanden. Daraufhin ergriffen verzweifelte Eltern selbst die Initiative. Sie wollten für ihre Kinder keinen „Heimaufenthalt“ mit Trennung von zuhause oder Unterbringung in einer „Hilfsschule“ außerhalb des Kreises.
Eine Idee wird Realität
Initiatorin und Mitbegründerin war die Gautinger Ärztin Dr. Barbara Eberhard. Ihre damals elfjährige Tochter Sabine war von Geburt an spastisch gelähmt und wurde wegen ihrer schweren Behinderung vom Spastikerzentrum München nicht mehr weiter gefördert. Als sie von einem Arzt zu hören bekam „Ihr Kind muss zuhause bleiben, da müssen Sie halt schauen, wie Sie zurecht kommen“, löste das die Initialzündung aus. Die betroffenen Eltern beschlossen, für das Recht auf Bildung für ihre Kinder zu kämpfen. Mit unermüdlichem Einsatz und einem fertigen Plan für eine Sonderschule gründeten die Eltern am 28. Januar 1971 unter dem Bundesdachverband der Lebenshilfe die Kreisvereinigung Starnberg.
Erste Schule
Jeder ist gleich viel wert: In den vergangenen 50 Jahren hat die Lebenshilfe Starnberg in verdienstvoller Weise ein breites Angebot von Einrichtungen geschaffen, um die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung aller Altersstufen sowie deren Angehörigen aufzugreifen.
Alles begann im September 1971 mit der ersten Sonderschule für geistig und körperlich behinderte Kinder im Landkreis Starnberg. Als in Garatshausen bei Feldafing eine ehemalige Kinderklinik zum Kauf angeboten wurde, handelten die Eltern entschlossen. Sie pachteten das riesige Parkgrundstück mit dem alten Gebäude am See. Innerhalb von wenigen Monaten schafften sie es, die Räume für den Schulbetrieb nutzbar zu machen und alle notwendigen Genehmigungen von den Behörden zu bekommen.
Prominente Unterstützung
Zum Kickstart konnte die Lebenshilfe Starnberg auf die großzügige ideelle und finanzielle Unterstützung von Prominenten zählen. Landrat Dr. Widmann übernahm die Schirmherrschaft, Hansi Burg vermachte ihr restliches Vermögen, Entertainer Michael Schanze engagierte sich über Jahre, und 1972 organisierte Dieter Thomas Heck das legendäre Benefiz-Fußballspiel der Schlagerstars wie Robert Blanco, Peter Maffay oder Juliane Werding gegen den TSV Starnberg.
17 Einrichtungen
In den 50 Jahren ihres Bestehens hat die Lebenshilfe Starnberg insgesamt 17 Einrichtungen und Beratungsdienste gegründet. In jedem Jahrzehnt kamen beispielhafte Angebote dazu, angefangen von der ersten Frühförderstelle für Kleinkinder bis hin zu Wohnheimen und offenen Wohnformen, um Erwachsenen mit geistiger Behinderung ein selbstständigeres Leben zu ermöglichen. Ein Meilenstein war sicherlich 1988 die Einweihung des Förderschulzentrums Franziskus-Schule in Söcking. In den letzten Jahren wurde das Thema Inklusion immer wichtiger. So eröffneten zwei inklusive Kinderhäuser für Kinder mit und ohne Behinderung in Söcking und in Gauting und die Schul- und Individualbegleitung ging an den Start, um Kindern den Besuch einer Regelschule oder eines -kindergartens zu ermöglichen.
Viel ist in 50 Jahren erreicht worden. „Menschen mit Behinderung stehen nicht mehr am Rand, sondern sind in den Mittelpunkt der Gesellschaft und der Kommunen gerückt“, so Edith Dieterle. Auch in Zukunft will die Lebenshilfe ihre Aufgabe mit aller Kraft fortsetzen. Denn noch ist die Gesellschaft nicht soweit, dass die Arbeit der Einrichtung überflüssig wäre.
Aktionen im Jubiläumsjahr
Verschiedene Aktionen begleiten das Jubiläumsjahr, auch wenn Corona freilich den Ablauf diktiert. Der offizielle Festakt in der Schlossberghalle ist auf Oktober verschoben worden. Ein großes Jubiläumsbuch ist im Januar erschienen. Die Francis Band ist dabei, mit Erik Berthold eine Jubiläums-CD zu produzieren. Mit einer Wanderausstellung möchte die Lebenshilfe Starnberg ihr Engagement für Menschen mit Behinderung an verschiedenen Orten im Landkreis zeigen, sofern es die Pandemie zulässt. Auch eine Kunstaktion zusammen mit der Franziskus-Schule ist vor den Sommerferien geplant.
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