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Die Angst ist unterschwellig immer da

Die Folgen sexueller Gewalt lassen die Opfer nie los

Rund 65 Interessierte waren zu den Fachvorträgen in das Pfarrheim „Miteinander“ gekommen. (Bild: mka)

Man hätte sich mehr interessierte Besucher gewünscht, die einem ebenso brisanten wie tabuisierten Thema, nämlich der zum Teil auch ritualisierten sexuellen Gewalt im Familien- oder Bekanntenkreis, zugehört hätten. So waren gerade einmal rund 65 gekommen, darunter auch eine Handvoll Männer, die den vier Fachvorträgen zum Thema lauschten. So war der Saal gerade einmal zur Hälfte gefüllt.

Initiiert hatte den Fachtag zum Thema „Traumafolgen und die dadurch entstehenden Kosten“ am Samstag im Pfarrheim „Miteinander“ der Verein Netz gegen sexuelle Gewalt. Durch den Vor- und frühen Nachmittag führte der BR-Moderator Lui Knoll.

Das Notfall-Überlebens-Programm

Den Auftakt machte die Diplom Psychologin Anneke Marie Mahler, die auch anhand von Beispielen aus der Tierwelt aufzeigte und erläuterte, wie Missbrauch, und bei Menschen ganz besonders sexueller Missbrauch, Traumatisierungen auslösen, die zu einem ein „Notfall-Überlebens-Programm“ in Kopf und Körper führen. Mahler führte aus, was bei solch einem Programm passiert und zu welchen physischen sowie psychischen Folgen und Auswirkungen es dabei bei den Betroffenen kommen kann. Äußerlich Symptome dafür könnten unter anderem Anzeichen sein für eine Übererregung sein, das Gefühl, es sein „alles außer Kontrolle“ oder ein Vermeidungsverhalten, etwa, dass plötzlich Fahrten mit der U-Bahn oder dem Bus gemieden würden. Das große Problem, das viele Betroffene haben, so die Psychologin, ist das Gefühl, allein gelassen zu sein. So habe eine ihrer Patientin, eine heute dreißig Jahre alte Frau, die im Kindesalter Missbrauch erfahren hatte, berichtet, es hätte ihr unter anderem vielleicht geholfen, wenn sie sich einem Menschen anvertrauen hätte können, der „sich nicht mit der erstbesten Antwort zufrieden gibt, sondern nachfragt und sich Zeit nimmt“ und einem das Gefühl vermittel würde, „das Erzählte aushalten zu können“ und das kein Problem so groß wäre, dass es dafür „keine Lösung“ gäbe. Hier sei jeder Einzelne aufgefordert, Beistand zu leisten.

„Das gibt es mitten unter uns“

Muscksmäuschen still wurde es im Pfarrsaal, als die Heilpraktikerin Sabine Weber über „rituelle Gewalt“ sprach. Weber hat diese am eigenen Leibe erfahren, wuchs in einem Umfeld satanistischer Kultur auf und wurde im Grundschulalter Opfer von organisierten sexuellem Missbrauch. Weber erzählte von „Partys“ am Swimmingpool, „in dem viele Männer waren“, und wo außen herum viele Kinder waren, wo es viel Limonade und viele Süßigkeiten gab. „Von den Kindern waren zunächst keine im Pool, erst auf ein bestimmtes ‚Trigger-Wort‘ sprangen sie dann in den Pool, wo sie missbraucht wurden. Ich war auch darunter.“ Sabine Weber konnte auf diese Weise eindrucksvoll und drastisch darlegen, welche Folgen, auch Abwehrfolgen, solche Taten auf Kinder und die später Erwachsenen haben. „Charlotte etwa geht morgens zur Schule und weiß nicht, was am Abend beziehungsweise in der Nacht zuvor passiert ist; denn das ist nicht ihr, sondern Luise passiert. Dass Luise und sie ein und dieselbe Person sind, hat der ‚Schutzmechanismus‘ ausgeblendet“, erläuterte Weber. Charlotte seien lediglich die Bauchschmerzen bewusst, die sie so oft habe. Doch die Angst sei unterschwellig immer da. Und sie warnte eindringlich: „Rituelle Gewalt hört nicht auf, nur weil wir uns das nicht vorstellen können! Das gibt es leider mitten unter uns!“ Glücklicherweise könne man, wenn man genügend Zeit für eine seelische Heilung bekäme, wieder einigermaßen gesund werden. „Aber das kostet. Das kostet Zeit, und das kostet Geld, viel Geld.“

Zahlen und Fakten

Zum Thema Geld, also den Folgekosten einer Traumatisierung, sprach nachdem zuvor Kriminalhauptkommissarin Petra Gschmeißner Zahlen zu sexueller Gewalt beziehungsweise sexuellen Missbrauch an Kindern im Landkreis Weilheim-Schongau vorgestellt hatte, die Journalistin Claudia Fischer.

Im Anschluss an die Vorträge folgte eine Podiumsdiskussion mit den vier Referentinnen, der Bayerischen Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Maria Eckl, Salomé Herbst, Künstlerin und selbst Betroffene, sowie Ulrike Leimig, der zweiten Vorsitzenden des Vereins gegen sexuelle Gewalt.

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