Literarischer Herbst im Künstlerdorf Bernried
Gulbransson, Corinth und die pure Lust am Leben
Olaf Gulbransson muss wie eine Art Naturgewalt über die verträumte Ortschaft Bernried hereingebrochen sein. Ein lebensfrohes Urviech von gewaltigen Ausmaßen, riesig groß und glatzköpfig. Der Dichter Joachim Ringelnatz beschrieb einmal die Begegnung des leicht zu entflammenden Gulbranssons mit der attraktiven Gemma Bierbaum: „Er dampfte gleichsam aus den Nüstern (…) und holte sie zum Tanz. Hinterher meinte die Schöne vergnügt: „Nein dieser Gulbransson! Er transpiriert beim Tanzen, dass es einfach spritzt!“ Und doch war der aus Norwegen stammende Karikaturist der Münchner Zeitschrift „Simplicissimus“ zugleich sensibel und humorvoll. Beim Literarischen Herbst neulich wurden die unbekannten Seiten des Künstlerdorfs Bernried eingehend beleuchtet. Viele treue Anhänger waren dazu der Einladung von Elisabeth Carr und Dr. Gerd Holzheimer (der übrigens eine neue Biographie der Ausnahmeerscheinung Gulbransson vorgelegt hat) zu der Veranstaltung gefolgt, die coronakonform ganz im Freien fand. Der Münchner Schauspieler Hans Jürgen Stockerl las dazu aus Erinnerungen und Werken.
Sommerfrische im Tanera-Haus
Gulbransson war auf Du und du mit den Einheimischen, liebte die bayerische Tracht, auch wenn er in Lederhosen „stramm wie eine Wurst“ aussah. Im Salettl im Garten des Bernrieder Gasthofs „Drei Rosen“, das heute noch steht, feierte er 1923 Polterabend mit seiner dritten Frau Dagny Björnson. Sie war auch der Grund, warum der populäre Künstler in das malerische Dorf gekommen war. Dagny, die Enkeltochter des berühmten norwegischen Dichters Björmsterne Björnson, war wegen Unterernährung nach Bernried geschickt worden, um sich etwas auf die Rippen zu futtern. Beide hätten sich gern auf Dauer am Starnberger See niedergelassen, doch letztendlich verschlug es den Wahl-Bayer an den nicht minder schönen Tegernsee.
Stramm wie eine Wurst
Natürlich durfte beim Rundgang durch Bernried auch die legendär großzügige Millionärin Wilhelmina Busch-Woods nicht fehlen, die zwei Jahrzehnte lang das Dorf aufmischte und ihm zu gesellschaftlichem Glanz verhalf. Der dritte Abstecher führte zum sogenannten Tanera-Haus im historischen Ortskern. Der Militärschriftsteller Karl Tanera kaufte 1893 das zu einer kleinen Sommervilla umgebaute alte Bauernhaus. Es steht heute noch – auch wenn es ersichtlich in die Jahre gekommen ist und nicht mehr von einem weitläufigen Garten umgeben ist wie einst. Den romantischen geschnitzten Balkon zur Seeseite gibt es aber nach wie vor. Da Tanera selbst viel auf Reisen war, vermietete er sein Haus an Sommerfrischler. Max Halbe beschreibt das Haus in seinem autobiografischen Roman „Jahrhundertwende“ als Treffpunkt der Münchner Bohème. So versammelte sich hier im Sommer 1899 der Freundeskreis des Schriftstellers Halbe sowie des Malers Lovis Corinth. In diesem „literarischen Bienenstock“ kam aber kaum einer richtig zum Arbeiten. Stattdessen genoss man das unbeschwerte Sommerleben am See. Corinth war für sein geräuschvolles Auftreten bekannt, er sprach außerdem fleißig dem Alkohol zu – es heißt, dass ihn auf seinen Kneipentouren in München gewöhnlich ein Student begleiten musste, der am Schluss die Rechnungen zahlte, wenn der Maler beim Heimgehen dazu nicht mehr in der Lage war. Die weitaus heitereren Tage der Bernrieder Sommerfrische hat Lovis Corinth in einem seiner berühmtesten Bilder festgehalten: „In Max Halbes Garten“ (zurzeit im Museum Starnberger See zu sehen, sonst im Lenbachhaus), das die Künstler am Frühstückstisch in fröhlicher Unterhaltung zeigt.
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