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Rubrik: Gesamt · Ort: fuenfseenland
Stille Helden, stramme Nazis
Pöckinger Historiker beleuchten die Rolle der Bürgermeister im Dritten Reich
Ein Ort arbeitet seine Verstrickung in den Nationalsozialismus auf. Und das Buch, das dazu erscheint, wird von der ganzen Bevölkerung mitgetragen. Das ist beispielhaft.
Auch beim dritten Vortrag des Historiker-Ehepaars Professor Marita Krauss und Erich Kasberger zum Werk „Ein Dorf im Nationalsozialismus: Pöcking 1930 bis 1950“ in der Gemeindebücherei hatte das Interesse nicht nachgelassen. Diesmal nahmen die Autoren die Rolle der Bürgermeister unter die Lupe.
Grüß Gott statt Heil Hitler
Wie konnte es passieren? Das ist die Frage, die dem Abend angesichts des Thüringer Wahldebakels eine beklemmende Aktualität bescherte. Darauf gehen auch die Referenten ein. Eingangs schilderte Erich Kasberger, wie erfolgreich die Nationalsozialisten darin waren, ihre ideologische Saat aufgehen zu lassen: Das zeigte sich beispielsweise daran, dass der Pöckinger Gemeinderat gleich 1933 beschloss, die Hauptstraße in „Hitlerstraße“ umzubenennen. Zur totalen Gleichschaltung gehörte dazu, alle Posten mit strammen Nazis zu besetzen. Einem wie dem seit 1927 in Pöcking lebenden Ortsgruppenleiter Karl Fischer, der laut Anweisung von oben den altgedienten Bürgermeister und Großbauern Matthias Ruhdofer senior wieder vorschlagen und sich selbst in die Schlüsselposition als Zweiter Bürgermeister wählen lassen sollte.
Doch in Pöcking sei diese Machtübernahme an der dörflichen Elite gescheitert, legte Kasberger dar. Sie verhinderte nicht nur erfolgreich den schlimmen Nazi Fischer, indem sie einfach keinen Vize-Bürgermeister bestimmte, sondern brachte später auch mit Matthias Ruhdorfer junior einen der ihren ins Amt. „Die alte bäuerliche Elite war so stark, dass sie die NSDAP übernommen hat, und nicht umgekehrt“, so Kasbergers Fazit.
Als Bürgermeister war zwar Parteimitgliedschaft gefordert, aber Ruhdorfer war nur dem Namen nach ein Nazi. Er nutzte seine Handlungsspielräume zugunsten von politisch Verfolgten, schützte die im Dorf lebenden Juden, unterdrückte Denunziationen und sagte „Grüß Gott“ anstatt „Heil Hitler“. Trotz seines Amts war das für Ruhdofer mit hohem persönlichen Risiko verbunden. Doch keiner vom Dorf hängte ihn hin. Warum? In Pöcking sei die Dorfgesellschaft intakt geblieben, vielleicht auch dadurch, dass viele miteinander verwandt waren, vermutete Krauss. Und Matthias Ruhdorfer vom Kinibauerhof war "ein Herrenbauer mit entsprechendem Auftreten“. Dagegen sei nicht mal der mächtige NSDAP-Kreisleiter und Starnberger Bürgermeister Franz Buchner angekommen.
In Aschering sah es anders aus. Bürgermeister und Landwirt Josef Grenzebach hatte nie einen Hehl aus seiner NS-Begeisterung gemacht. Trotzdem habe er sich sehr für seine Gemeinde eingesetzt, zum Beispiel das Ascheringer Schwimmbad gebaut, um den Kindern das Schwimmen zu lernen, hielt ihm Krauss zugute. In Maising war mit dem typischen Aufsteiger Jakob Werl ebenfalls ein überzeugter Nationalsozialist am Ruder. Werl stürzte aber noch vor Kriegsende über finanzielle Betrügereien.
Ruhdorfer - ein stiller Held
Nach dem Vortrag wollen viele aus dem Publikum mehr wissen. Etwa, ob Ruhdorfer sehr verbittert gewesen sei, nachdem er nach dem Krieg zwangsinterniert und von manchen als alter Nazi beschimpft worden sei? Dazu weiß sein Neffe Leonhard Poelt mehr. „Er ruhte in sich, er hatte nach dem Krieg die Ruhe gefunden“, berichtete er. Für Historiker Kasberger ist Ruhdorfer so etwas wie ein „stiller Held“, der mit seinen mutigen Handlungen nicht hausieren ging. Wo sind die schlimmen Beispiele, ist eine weitere Frage. Der Maisinger Bürgermeister Werl habe zwei Bauern ohne Not an die Front geschickt, die dann auch gefallen seien, antwortete Krauss.
"Es kommt auf jeden einzelnen an"
Zum Schluss wird noch angeregt, die Hindenburgstraße in „Matthias-Ruhdorfer-Straße“ umzubenennen, was vielen Zuhörern gefällt. Aber die Umbenennung zu Ehren eines NS-Bürgermeisters hält Marita Krauss denn doch für schwierig. Zum Schluss zieht sie ein Fazit, was sich aus dem Beispiel Pöcking lernen lässt. Der politische Umsturz könne erschreckend schnell kommen. Doch man müsse nicht zwangsweise mitmachen und sei auch kein bedeutungsloses Rädchen in der Geschichte. „Es kommt auf jeden einzelnen und seine Handlungen an“, wandte sie sich eindringlich ans Publikum.
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