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Ohne rosa Brille

Ungeschönter Blick auf die Starnberger Geschichte

Ein Meilenstein zur Stadtgeschichte ist mit sieben Jahren Verspätung fertig geworden. Darüber freuen sich Christoph Aschermann, Dr. Paul Hoser, Eva John, Sarah Buckel und Christian Fries. (Bild: Hauck)

Das Warten hat sich gelohnt, so viel steht fest. Das mit mehrjähriger Verspätung erschienene Werk des Historikers Dr. Paul Hoser hat es in sich. Der Münchner Historiker rollt die politische Geschichte der Stadt Starnberg neu auf und wirft vor allem einen ungeschminkten Blick auf die Jahre unter dem Hakenkreuz. Das reich bebilderte zweibändige Werk liefert nicht nur eine unglaubliche Materialfülle, sondern liest sich auch noch spannend bis zur letzten Seite.

„Es schließt die Lücke zwischen 1850 und der Gebietsreform“, lobte Eva John die Chronik Hosers, die drei Kilo wiegt, 900 Seiten umfasst und als zehnter Band der Reihe „Starnberger Stadtgeschichte“ im Buchhandel zu haben ist. "Durch den zeitlichen Abstand liefert es eine ganz andere Perspektive, als es noch im Heimatbuch von 1972 der Fall war." Die Starnberger Bürgermeisterin betonte, dass die Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit unerlässlich sei.

John begrüßte unter den 80 Gästen auch Altbürgermeister Heribert Thallmair und den früheren Kreisheimatpfleger Gerhard Schober und vergaß auch nicht, des verstorbenen Druckereibesitzers Josef Jägerhubers zu gedenken, der „allen Beteiligten mit Rat und Tat zur Seite“ gestanden sei. So würdigte es auch Hoser, dass Jägerhuber ihm sämtliche Ausgaben der Lokalzeitung „Land- und Seebote“ zur Verfügung gestellt, die in Archiven nur unvollständig vorhanden waren. Im Anschluss gelang dem Historiker das Kunststück, die 150-jährige Historie in einer halben Stunde schlaglichtartig zusammenzufassen. Dabei beschönigte er nichts.

Spannend bis zur letzten Seite

Kein gesellschaftliches Tabuthema mehr ist etwa der Skandalprozess von 1908 um den Diplomaten Fürst Eulenburg, der homosexuelle Kontakte zu Starnberger Fischerjünglingen pflegte. Seine Liebe zu Männern wurde auch dem Chemiker und FC-Bayern-Präsidenten Angelo Knorr zum Verhängnis, der 1913 in seiner Starnberger Villa verhaftet wurde.

Die Kapitel über die NS-Zeit dokumentieren die Verstrickungen der Stadt in den Antisemitismus. So stammt der Entwurf zur Hakenkreuz-Fahne von dem Starnberger Zahntechniker und Heilpraktiker Friedrich Krohn, der in direktem Kontakt zu Hitler stand. Mit größter Wahrscheinlichkeit trat der Führer auch selbst in Starnberg auf. Belegt ist das durch eine Anzeige im „Land- und Seeboten“, die Hitler als Redner für den 28. Oktober 1920 im Tutzinger Hof ankündigt.

Ab 1933 war der Nazi Franz Buchner Bürgermeister in Starnberg, der schon früh als politischer Radaubruder aufgefallen war und nach 1945 mit drei Jahren Haft davon kam, aber davon nur zehn Monate absitzen musste. Buchner war es auch, der gegen den Widerstand des katholischen Pfarrers Michael Ostheimer den Kunstmaler Theo Geyer mit dem riesigen Altarfresko „Weltgericht“ für die neue Kirche St. Maria beauftragte. Geyr fiel später unter anderem wegen hoher Honorarnachforderungen bei den Nazis in Ungnade und musste vor Gericht. Zu seiner Verteidigung brachte der Künstler vor, er habe bei dem Monumentalwerk rechts unten „den großen unbekannten Gefreiten des Weltkriegs“ dargestellt. „So soll Hitler symbolisch verschlüsselt als Retter, der seine Ketten zerbricht, auf dem Bild verewigt sein“, so Hoser.

Reichsinnenminister Wilhelm Frick, der in Kempfenhausen eine Villa besaß, nutzte es nicht mehr viel, dass er sich bei Kriegsende noch schnell 850.000 Reichsmark aus den Pfründen seines Reichsprotektorats Böhmen und Mähren auf sein Privatkonto bei der Starnberger Hypobank überweisen ließ. Er endete bekanntlich 1946 beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess am Galgen.

Fertigstellung immer wieder verschoben

Ob er bei seinen Recherchen denn auf Widerstand gestoßen sei, wurde Hoser vom Publikum gefragt. „Nein, aber der Ärger kommt meistens erst hinterher“, erklärte der Historiker unverblümt.

Die Stadtarchivare Christian Fries und Christoph Aschermann dankten Hoser für seine Geduld. Denn es ist kein Geheimnis, dass der Autor sein Manuskript schon 2012 rechtzeitig zum Stadtjubiläum abgegeben hatte. Immer wieder wurde die Veröffentlichung angekündigt und wieder verschoben, zuletzt 2018. Erst mit den neuen Koordinatoren ist die Fertigstellung wohl geglückt, das ließ sich aus der Rede von Bürgermeisterin John herauslesen.

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