Kultur aus dem Kaufladen
Künstler erwecken das alte Biller zu neuem Leben
Große Geschäftigkeit herrschte am Samstag im Kaufladen Biller, ganz wie in den besten Zeiten des Gemischtwarengeschäfts. Allerdings waren es nicht Knöpfe und Wäscheblau, die aus den mit Emailleschildern verzierten Biedermeier-Schubladen gezogen wurden, sondern literarische Texte und Postkarten. Unter dem Motto „Grüße vom Starnberger See“ hatten Elisabeth Carr, Peter Weiß und Ulrike Mertz zu einer Lesung eingeladen.
Wo die Zeit stehengeblieben ist
Wenn überhaupt, ist das ehemalige Kaufhaus mit dem eindrucksvollen Ladenschild „Gegr. Johann Biller 1804“ über der Tür nur ab und zu für eine Veranstaltung geöffnet, und man weiß nicht, wie lange noch. Deshalb standen die Leute auch Schlange, um einen Platz in dem liebenswerten kleinen Verkaufsraum mit der Holztheke zu ergattern, dessen so schön altmodische Einrichtung aus der Biedermeier-Zeit stammt. Bis es mit der Lesung losging, nutzten die Zuschauer die Gelegenheit, den Blick ausgiebig über die nostalgischen Auslagen schweifen zu lassen, in denen die Waren vergangener Zeiten auf Käufer warteten, teils noch in Originalverpackung: Korselettschienen, hautfarbene Büstenhalter, Siegellack, Stickgarn, Knöpfe, Bettwäsche, Wollknäuel und Weihrauch. Was man früher halt so brauchte.
Schon immer schickimicki
„Sie ist ganz in unserer Nähe und heißt uns willkommen“, ließ Elisabeth Carr Grüße von der Mitte 90-jährigen Geschäftsinhaberin überbringen, die die bei den Starnbergern immer die „Trudi Biller“ war, auch wenn sie in Wirklichkeit Gertrude Weiß heißt, als Enkelin der Gründer Johann und Kreszentia Biller und als Ehefrau des Arztes Joseph Weiß, der bis 1980 seine Praxis in den Räumen über dem Laden an der Hauptstraße führte. Peter Weiß rekapitulierte ihre Familiengeschichte, um dann zu einem literarischen Streifzug aufzubrechen. Angefangen von dem Historiker Lorenz von Westenrieder, der wegen seiner 200 Jahre alten Landschaftsbeschreibungen als „Entdecker“ des Starnberger Sees galt, der damals noch Würmsee hieß. Dass Starnberg schon immer als Schickimicki-Städtchen verschrien war, wurde in anderen Texten überdeutlich. Reiseschriftsteller Heinrich Noe pries erst in blumigen Worten die Schönheit der Landschaft, um sich dann abfällig über die eitel promenierende Weiblichkeit und die Landbevölkerung mit den fauligen Zähnen auszulassen, von den miserablen Wirtschaften ganz zu schweigen.
"Feine Gesellschaft"
Herrlich karikierte Ödön von Horvath die Möchtegerns und Neureichen, die im Feldafinger Seerestaurant bei Königinsuppe saßen. Als erfahrenem Sprecher gelang es Peter Weiß mühelos, die „feine Gesellschaft“ der Texte von damals für das Publikum von heute lebendig zu machen. Auch der Lebensweg von Autoren wie Gerd Holzheimer, Wilhelm Hausenstein, Christian Morgenstern, Wilhelm Busch und Eugen Roth hat sich mit den Gefilden am Starnberger See gekreuzt, wie die Zuhörer erfuhren, die sich zudem ein Bild vom poetischen Werk „Sisis“ machen konnten, das sich durch elegische Naturschwärmereien auszeichnete. Und übrigens: Durch die Bank war der schreckliche Verkehr in Starnberg ein Lieblingsthema der Schriftsteller, lang vor unserer Zeit. Im Anschluss öffnete Kunsthistorikerin und Fotografin Ulrike Mertz ihren alten Pappkoffer, um zusammen mit dem Publikum in ihrem Fundus an Postkarten zu stöbern.
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