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Illustrator der Zwanziger Jahre

Eine neue Ausstellung widmet sich dem verfolgten jüdischen Künstler Kirszenbaum

VHS-Leiterin Christine Loibl und Dozent Dr. Stefan Müller eröffneten die Ausstellung über den verfolgten polnisch-jüdischen Karikaturisten Jecheskiel Kirszenbaum. (Bild: Susanne Hauck)

Da bummelt ein eleganter Herr mit Spazierstock an der Seite einer sehr selbstbewusst aussehenden Frau mit modischem Bubikopf und kurzem Kleid. Angesichts der gleichermaßen glamourösen, aber stummen und fügsamen Schaufensterpuppen in einem Geschäft sagt er zu seiner Begleiterin: „Weisst du, so’n Verhältnis mit ner Schaufensterpuppe wär mein Ideal!“ Dass im Berlin der 1920er-Jahre vielen Männern der neue und emanzipierte Typus Frau nicht geheuer war, kommentiert der Karikaturist Jecheskiel Kirszenbaum mit Spottlust, aber auch ein wenig Mitgefühl.
Im Foyer der Kreissparkasse Starnberg hat eine neue Ausstellung der VHS Starnberger See eröffnet. Sie zeichnet das bewegende Leben des zu Unrecht so gut wie vergessenen polnisch-jüdischen Künstler Jecheskiel Kirszenbaum (1900-1954) nach, der als Karikaturist treffsicher den Zeitgeist der Weimarer Republik aufs Korn nahm. Die Ausstellung, die im Rahmen des Jubiläums 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland stattfindet, ist von der Volkshochschule Weimar kuratiert. „Ich freue mich, dass sie bis 29. November in Starnberg zu sehen ist“, sagte VHS-Leiterin Christine Loibl bei der Vernissage.

Ein großes Talent

Hätte Kirszenbaum in anderen Zeiten gelebt, wäre er vielleicht so berühmt wie Marc Chagall, mit dem er mit seiner radikalen Modernität oft verglichen wurde. So aber gehört er zu den Künstlern, deren Andenken die Nationalsozialisten erfolgreich zerstört haben, erklärt VHS-Dozent Dr. Stefan Müller. Bei Kirszenbaums Tod ist er so gut wie vergessen. Es ist seit seinem Großneffen zu verdanken, dass man ihn und sein Schaffen wiederentdeckt hat.
Der Rabbinersohn Kirszenbaum wurde in Polen geboren und ging 1920 nach Deutschland, um als Bergarbeiter Geld zu verdienen. Eher zufällig wurde sein großes zeichnerisches Talent entdeckt. Er studierte an der Kunsthochschule Bauhaus Weimar bei so berühmten Dozenten wie Lionel Feininger, Paul Klee und Wassily Kandinsky und ging dann als freiberuflicher Künstler nach Berlin, wo er Bilder verkaufte und in Ausstellungen vertreten war. Weil das Geld zum Leben nicht reichte, verdiente er sich als Karikaturist unter dem Pseudonym Duwdiwani (die hebräische Übersetzung seines Nachnamens) bei linksliberalen Satirezeitschriften etwas dazu.

Die Themen werden immer ernster

Er deckte alle Themen der 20er Jahre ab, die neuen Rollen von Mann und Frau, die Vergnügungswut, die Geschäftemacherei, die Weltwirtschaftskrise, die technischen Entwicklungen wie das Radio. „Was die Leute eben so bewegte damals“, so Müller. Die anfangs lockeren Themen werden dann immer ernster und politischer, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Ab 1933 darf er nicht mehr arbeiten, weil er als Jude nicht in die Reichskulturkammer aufgenommen wird. Das ging so weit, dass er nicht einmal Pinsel oder Farben kaufen durfte. Deswegen emigrierte er 1933 nach Frankreich. In Paris wird sein Talent als Maler schnell erkannt. „Er wird als Avantgardekünstler mit Kusshand aufgenommen“, erklärte Müller.
Doch die Nazis kommen auch nach Paris. Kirszenbaum wird 1940 interniert, kann aber 1942 fliehen und versteckt sich bis zum Ende des Kriegs auf dem Land. Seine Frau jedoch wird in Auschwitz ermordet, was er erst im Frieden erfährt und was ihn tief traumatisiert. Durch eine Förderung der Baronin Rothschild reiste er länger nach Brasilien, wo er zur Kreativität zurückfand. Er kehrte 1949 nach Frankreich zurück, starb aber wenige Jahre später an einer Krebserkrankung

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