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Rubrik: Gesamt · Ort: fuenfseenland
Großer Bahnhof
Modellbahn: Männer strahlen wie Kinder
Putzige Loks, die pausenlos im Kreis fahren: nur auf den ersten Blick eine kleine Welt. In Wirklichkeit ist eine Modelleisenbahn-Ausstellung wie jüngst im Starnberger Seniorentreff der Eintritt in einen Kosmos der Leidenschaften und Sehnsüchte.
So kann sich Christoph Sening, eine noble Erscheinung mit Kniebundhosen, am meisten für die Ästhetik begeistern. Seine über 70 Jahre alten Märklin-Modelle schnurren um den Bahnhof Friedrichshafen der 1930er Jahre, Runde um Runde in technischer Perfektion. „Langsam fahren und sich jeden Meter auf der Zunge zergehen lassen“, rät er dem zehnjährigen Julius Horst, der den Trafo bedienen und die Weichen stellen darf. Ein weiteres Bonmot: „Das Ohr sieht mit.“
Das Ohr sieht mit
In der Tat: es tutet und rattert ohne Unterlass im Ilse-Kubaschewski-Haus, wo die Starnberger Modelleisenbahner ihre schönsten Anlagen aufgebaut haben. Die stolzen Besitzer zeigen verschiedenste Spurweiten und historische Loks, aber auch ganz moderne Digital-Bahnen, die täuschend echt pfeifen, hupen und Rauch aufsteigen lassen.
„Es ist einfach ein tolles Hobby“, meint Peter Koziol, der zusammen mit Manfred Kühn die zweitägige Ausstellung organisiert hat. Und nicht nur eines für die Opa-Generation, findet er. Die Eisenbahnfans möchten auch den Kindern von heute die Modellbahnen wieder näherbringen und zeigen, dass nicht nur das Handy spannend ist. Durchaus mit Erfolg. Wenn auch die Mehrheit des Publikums fortgeschrittenen Alters war – das Interesse ist groß, und unter den vielen Besuchern, die schon am ersten Tag – trotz Sturm „Burglind“ – gekommen waren, gab es etliche junge Gesichter.
Tüfteln, Basteln, Reparieren
Koziol erzählt aus der Historie. Modelleisenbahnen waren der Renner in den 1950er und 1960er Jahren. Fast in jeder Familie spielten Väter und Kinder begeistert. In den 1970er und 1980er Jahren wurde es immer technischer und in den 1990ern kam es zum Rückgang. Die Hersteller wie Märklin, Fleischmann, LGB, Faller, Roco und Trix kämpften ums Überleben, viele umsonst. Koziol findet, dass sie dies teils auch selbst verschuldeten. „Die Hersteller verzettelten sich“, sagt er. „Sie stellten Einzelteile in winzigen Stückzahlen her, was diese sehr teuer machte und den Umsatz einbrechen ließ.“ Für ihn, den Ingenieur im Ruhestand, sind das technische Tüfteln und dauernde Umbauen das Spannendste an diesem Hobby.
Große Enthusiasten
Hubertus Streve trägt eine originale Eisenbahner-Mütze, ihre rote Farbe signalisiert, dass sie vom Aufsichtspersonal getragen wird. Er kann sich am meisten über die Dioramen und Landschaften freuen, die den Zügen erst die passende Kulisse geben. Vor sich hat er eine Stadt mit Fachwerkhäuschen aufgebaut, liebevoll bevölkert mit parkenden VW-Käfern im Miniaturformat und Figürchen, die durch die Straßen „schlendern“. Rundherum kreist die Eisenbahn. Streve gilt als einer der größten Enthusiasten. Er war schon in Rente gegangen, als er ein kleines Spielwarengeschäft in Weilheim übernahm, um Modelleisenbahnen zu verkaufen. Aber die Euro-Umstellung und die teure Digitaltechnik setzten dem Laden zu. Nach ein paar Jahren rentierte es sich nicht mehr, jeden Tag von Starnberg bis Weilheim zu fahren. Die restliche Ware lagert nun daheim im Hobbykeller. Nun reist Streve an den meisten Wochenenden zu Eisenbahn-Börsen, um seine Waggons und Schienen an Liebhaber zu verkaufen.
Zug fuhr Radios spazieren
Einer der jüngeren ist Martin Horst, Vater von Julius. Er passt auf die Faller-Eisenbahn, mit der schon Kindergartenkinder spielen können. Horst bedauert, dass er in seiner Wohnung keinen Platz für eine eigene Anlage hat. Trotzdem sei er treuer Fan. Wie es dazu kam? Die Familie hatte in Norddeutschland einen Elektrowarenladen. „Der Vater stellte eine große LGB-Bahn ins Schaufenster und in den Waggons fuhren die Kofferradios herum“, erzählt er. „Das war bei den Kunden der Renner.“
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