Vergesst das Auto
Bei der Traditionsfahrt gab es nostalgische Pferdekutschen wie vor 100 Jahren zu bewundern
Baron von Innstetten fasst zum Strohhut, schwenkt ihn kurz zum Gruß. Auf seinen Knien ein Plaid, das Schuhwerk fest gegen das Spritzbrett gestemmt. Ein kleiner Ruck an der Leine, die wegen der Handschuhe aus weichem rehbraunen Leder nicht einschneidet, genügt. Die Rappen setzen sich in Bewegung, der Kavalierswagen rollt hinaus.
Es könnte das erste Kapitel aus dem berühmten Buch „Effi Briest“ von Theodor Fontane sein, aber was sich kürzlich in Ambach abspielte, war die Präsentation vor Jury und Publikum im Rahmen einer der bekanntesten Stilfahrten überhaupt. Diese Kutschfahrt ist nicht nur eine Runde um den Starnberger See, sondern eine Reise in die Vergangenheit. „Fahren wie vor 100 Jahren“ lautete das Motto der Internationalen Starnberger See Rundfahrt, die nur alle fünf Jahre stattfindet. Ein Sechsspänner, acht Vierspänner und 22 Zweispänner starteten vor Kurzem im Morgengrauen in Traubing und fuhren über Perchting und Leutstetten bis nach Ambach am Ostufer des Sees, wo sie sich den Preisrichtern stellten.
Reise in die Vergangenheit
Die Zuschauer bekamen eine herrliche Schau an historischen Wägen, gepflegten Pferden und möglichst originalgetreu gekleideten Fahrern zu sehen. Ganz besonders gut gefiel der "Roof Seat Top" aus Hamburg, wo die Passagiere hoch oben wie auf einem Dach saßen und die beste Aussicht hatten. Unter den Teilnehmern, die aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien kamen, waren auch etliche aus dem Landkreis Starnberg dabei. Wie Hans Lange aus Gilching, stolzer Besitzer einer bequemen „Viktoria“ aus dem Jahr 1900. In dieser hatten Damen in Gesellschaftskleidung von damals Platz genommen. „Dieser Parkwagen war vor allem für Spazierfahrten nach dem Motto „Sehen und Gesehen werden“ da, erklärte Moderator Peter Schröfl. Andreas Sammer aus Planegg fuhr einen „Mylord“ von 1920 und Bettina Schreiner aus Bachhausen einen Doktorwagen von 1890. Ein Wägelchen, mit dem Landärzte früher herumkutschierten. Einen eindrucksvollen Vierspänner mit Hannoveranern aus eigener Züchtung lenkte Klaus Gröber aus Berg. Zum ländlichen, ungarischen Jagdwagen trug er passend einen weichen Hut. Zylinder wäre hier ein absoluter Stilbruch, er ist nur für die elegante städtische Anspannung erlaubt.
Stil geht vor Tempo
Bei der Präsentation wurde auf alles geachtet. Ob die Tiere in Größe und Farbe zusammenpassten und nicht überanstrengt wirkten, ob zum schwarzen Fell nicht etwa ein braunes Geschirr gewählt wurde. Alles sollte stimmen, bis hin zur Kleidung des Fahrers und des „Groom“ genannten Beifahrers. Selbst scheinbar unwichtige Dinge wie Hut, Peitsche, Bockdecke, Kutschlampen oder Korb sollten stilistisch zum Gesamtbild passen.
Zehn Stunden waren die Teilnehmer (mit Pausen) insgesamt unterwegs. Der Veranstalter, der Verein Weilheimer Pferdefreunde, gründete 1983 diese Stilfahrt. Im Gegensatz zu anderen historischen Kutschfahrten setzt er aber nicht nur auf den Schauwert, sondern auch auf die sportliche Herausforderung. Mit 75 Kilometern ist die Strecke die längste, die in Europa an einem Tag gefahren wird. Das ist für Tier und Fahrer nur mit einer akribischen Vorbereitung wie auf einen Marathonlauf machbar. Ohne Training kann man höchstens 40 Kilometer am Stück fahren, erzählte Jörg Schneider, ein Augenarzt aus Wielenbach, der früher selbst mitgefahren ist. Tierärzte haben bei der Traditionsfahrt das Sagen. Pferde, die zu angestrengt wirken, werden aus dem Rennen genommen. Das aber passierte bei der achten Rundfahrt nicht. Der erste Preis ging an eine Teilnehmerin aus Oberfranken.
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