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Rubrik: Gesamt · Ort: fuenfseenland
"Manchmal muss man einfach läuten"
Beim Literarischen Herbst gehen wieder viele Türen auf
Mit sieben neuen Veranstaltungen meldet sich der beliebte Literarische Herbst nach der coronabedingten Zwangspause wieder zurück. Seit März wurde am Programm gebastelt, verrieten die künstlerischen Leiter Elisabeth Carr und Dr. Gerd Holzheimer bei einem Pressegespräch. Und wieder ist es dem Duo gelungen, interessante Räume zu entdecken. „Unsere Recherchemethoden sind sehr ungewöhnlich“, erklärte Holzheimer schmunzelnd. „Wenn wir auf unseren Streifzügen etwas sehen, das uns gefällt, läuten wir ganz ungeniert und meistens geht die Tür für uns auf.“ Auch diesmal ist die Veranstaltungsreihe wieder angetreten, den ganz besonderen „Geist des Hauses“ aus ungewöhnlichsten Orten hervorzulocken und mit Hilfe von Lesungen und Musik in Kunsträume zu verwandeln. "Es entsteht dadurch eine neue Form, eine inszenierte Wirklichkeit", so Elisabeth Carr zu ihrem Konzept.
Hartschimmelhof
Den Beginn macht ein Besuch mit anschließendem Rundgang am Hartschimmelhof bei Machtlfing, dem Familiensitz des NS-Gegners Albrecht Haushofer. Auf der Flucht vor der SS hatten ihn mutige Dorfbewohner bei sich versteckt – im Schuppen, oder sogar im Kirchturm. „Es gab stille Helden mit Zivilcourage, und es ist unser großes Anliegen, diese sichtbar zu machen“, sagte Holzheimer. Peter Weiß liest dazu passende Werke (16. Oktober). Stunde Null oder Hurra, wir leben noch? Dem kulturellen Wiedererwachen in der Nachkriegszeit am Starnberger See spürt eine Wochenend-Veranstaltung in Haus Buchenried nach (22. bis 24. Oktober, Anmeldung nur über die VHS). Endlich nachgeholt werden kann die „Literarische Schuhschau“. Auch sie findet in einem Raum statt, „den es bald nicht mehr geben wird“, so Carr, und zwar im Schuhhaus Linse in der Wittelsbacherstraße in Starnberg (30. Oktober). Das Gebäude, das früher das Schlosstheater-Kino beherbergte, wird bekanntlich demnächst umgebaut. Vorher kann man aber noch gucken, was sich aus der Lichtspielzeit erhalten hat. Und Judith Huber widmet sich dem Thema Schuh auf literarisch spielerische Weise.
Wunderkammer
Mit Veranstaltung Nummer vier betritt das Publikum ein Privathaus in der Possenhofener Straße. Hans Lipp bittet in seine märchenhaft eingerichtete „Wunderwelt und Kunstkammer“ mit einem Atelier, das aussieht wie ein „umgedrehtes Schiff“ (Holzheimer) und erzählt von seinem Urgroßonkel, dem Baumeister und Künstler Richard Lipps (1857-1926), der sich auch als Aquarellmaler der gefragten Künstlerpostkarten einen Namen gemacht hat (13. November), ergänzt durch eine Lesung von Texten der Zeit. Als nächstes geht es mit Hans Jürgen Stockerl auf einen literarischen Rundgang durch das Künstlerdorf Bernried, einstiger Treffpunkt der Münchner Künstlerszene von Carl Spitzweg bis Franz von Deffregger (19. November). Auch diese Veranstaltung musste im letzten Herbst wegen Corona ausfallen. „Die anderen 3G, nämlich Gedicht, Geist und Gehirn“ heißt der Titel der Veranstaltung mit Psychologieprofessor und Hirnforscher Ernst Pöppel. Er erklärt in Schloss Kempfenhausen anhand von Gedicht-Beispielen, was es mit dem berühmten Drei-Sekunden-Zeitfenster in der Musik und in der Kunst auf sich hat (21. November).
Reformkaiser
Ein „Haus mit einem großen Geist“ (Carr) ist auch das Millersche Anwesen in Niederpöcking, das bereits mehrmals seine Türen für den Literarischen Herbst geöffnet hat. Diesmal lädt Monika Czernin in den Salon ihrer Tante Marie von Miller ein, um aus dem Leben Josef II. zu erzählen, über den sie eine Biografie geschrieben hat. Der österreichische Reformkaiser und Bruder Marie Antoinettes war ein überraschend moderner Staatsmann, der ohne Pomp und Protz inkognito quer durchs Land reiste, um sein Volk kennenzulernen – und als Erfinder des ressourcenschonenden „Klappsargs“ in die Geschichte einging (27. November). Verbindliche Kartenreservierung: kontakt@kunstraeume-am-see.de.
Nächstes Jahr feiert der Literarische Herbst sein 20-jähriges Bestehen. Stattfinden sollte er eigentlich nur einmal. „Und was machen Sie eigentlich?“, habe ihn der zufällig neben ihm platzierte ehemalige Kulturreferent Fritz David bei einem Vorbereitungstreffen zur 100-Jahr-Feier des Landkreises Starnberg gefragt, erinnerte sich Gerd Holzheimer. „Schreiben“ habe er lakonisch geantwortet, woraufhin David ihn ermunterte, sich ein passendes Format für die Feierlichkeiten einfallen zu lassen, „und machen Sie bloß keine klassischen Lesungen“.
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