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Freud und Leid des Adels

Wiederentdecktes Originaltagebuch von Sisis Nichte

Manches von dem, was Amelie von Urach in ihr Tagebuch schrieb, durfte nicht an die Öffentlichkeit kommen. (Bild: Sammlung Christian Sepp)

Die Wahrheit war nichts für die Öffentlichkeit. Helene war, anders als ihre berühmte Schwester Sisi, keine Schönheit. Später wurde sie auch noch dick. Schwarz auf weiß heißt es, dass sie ein „nicht besonders schönes Gesicht“ hatte, und als ältere Frau auch noch ihre einstige Schlankheit spurlos verschwunden war. Ihr Charakter war schon als Mädchen schwierig, und sie war obendrein so unpünktlich, dass ihre verärgerte Mutter ohne sie losmarschierte. So ungeschminkt plauderte ihre Nichte über sie – aber eine solche Offenherzigkeit über das Aussehen und den Charakter eine bayerischen Prinzessin durfte nicht sein. Dafür sorgten treue Publizisten, die solche Schriftstücke zensierten, wann immer sie allzu ehrlich ausgefallen waren und die herrschaftliche Familie nicht gut wegkam. Und die Nachwelt kannte bislang nur die geschönte Version.

Originaltagebuch

Aufgedeckt hat das erstmals Christian Sepp. Mit brisanten Ergebnissen. Der Münchner Historiker, bekannt für seine erfolgreichen Biographien zu Sisis Schwester Sophie Charlotte und Mutter Ludovika, entdeckte bei seinen Recherchen zufällig das Originaltagebuch der Amelie von Urach. Diese war die Tochter von Sisis Bruder und hatte Zeit ihres Lebens ein so inniges Verhältnis zu Ludovika, dass sie die Geschichten, die die geliebte Großmutter der Enkelin aus ihrer Jugend erzählte, zur Erinnerung aufschrieb - mit teils entwaffnender Ehrlichkeit. Historiker Christian Sepp traute seinen Augen kaum. „Zu meiner großen Verblüffung musste ich feststellen, dass Abschrift und Original an einigen Stellen massiv voneinander abwichen“ berichtet er.

Entschärft und zensiert

Zensiert wurde beispielsweise, dass Herzog Max seiner Tochter gegenüber handgreiflich wurde, als eine verweinte Sisi wegen ihres verschwollenen Gesichts die Besucher nicht begrüßen wollte. „Der Großpapa war so zornig, dass er sie aus Wut am Hals packte“: ein verräterischer Satz, der dem Rotstift zum Opfer fiel. Entschärft hat der wohlmeinende Biograph, dem herrschaftlichen Haus der Wittelsbacher sehr nahestehende Schriftsteller Richard Sexau auch das Urteil über Schwiegermutter Sophie, „die eine sehr harte herrische Frau geworden (war), die kein Herz für die Wünsche des jungen Paar besaß“. Nachdem Christian Sepp das Originaltagebuch aufgespürt hatte, veröffentlichte er den komplett transkribierten Text unter dem Titel „Erinnerungen an Großmama. Die Aufzeichnungen von Amelie von Urach über Herzogin Ludovika in Bayern“ . Das mit vielen Fotos aus dem Familiealbum bebilderte Buch ist schon deshalb sehr lesenswert, weil Amelie ein detailreiches Bild ihrer Familie und des europäischen Adels und seiner Sitten und Gebräuche zeichnet.

"Stumm wie ein Fisch"

Anstatt Komplimenten bekam die junge Ludovika auf einem Maskenball von einem Kavalier den Vorwurf „Du bist stumm wie ein Fisch“ zu hören. Die Königin von Holland war „schmutzig und unhöflich“. Alle Geschichten über die Seitensprünge von Ludovikas Mann, finden sich bestätigt. „Herzog Max geriet auf Abwege, wie viele vornehme Herren seiner Zeit“. Erst als alter Mann scheint er sich besonnen zu haben. „Es klang rührend und traurig, wenn Großmama später sagte, von der goldenen Hochzeit an sei er gut für sie gewesen“, hält Amelie fest. Mit am erschütterndsten sind die Berichte über die damalige Heiratspolitik. Die jungen Damen aus höchsten Kreisen wurden gnadenlos unter die Haube gebracht, selbst wenn der Bräutigam bekannt schwachsinnig war. „Nach gegenseitiger Neigung wurde überhaupt nicht gefragt“, notierte Amelie eins ums andere Mal.

Sisis zwei Gesichter

Ein langes Kapitel findet sich auch über Kaiserin Elisabeth – Amelies Tante. Sie wird als „genial, originell“, aber auch menschenverachtend und freiheitsliebend charakterisiert. Ein Wesen voller Gegensätze – einerseits „unendlich gut“, andererseits aber auch „hart und unversöhnlich“, wenn sie Kränkungen erfuhr. Als junge Ehefrau hatte Sisi nicht einmal ihren eigenen Haushalt und musste jede Mahlzeit bei ihrer Schwiegermutter einnehmen, sie durfte kaum einen Schritt alleine tun – kein Wunder, dass „ihre Geduld an den Kleinigkeiten des Alltags scheiterte“. Nicht nur für Fans des bayerischen Adels ist „Erinnerungen an Großmama“ eine spannende Lektüre.

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