„Das Leben is a feine Sache - macht was draus!"
Holocaust-Überlebender Abba Naor am CPG
Er war bereits einmal am Christoph-Probst-Gymnasium in Gilching und hat bei den Schülern tiefen Eindruck hinterlassen, denn er berichtet sehr anschaulich, aber trotz aller persönlichen Betroffenheit, doch sachlich und distanziert von seinen Erlebnissen in den verschiedenen Konzentrationslagern, Abba Naor (91), einer der letzten, die den Holocaust der Nationalsozialisten überlebt haben.
Als Dreizehnjähriger wurde Naor in das Ghetto in Kaunas deportiert, es folgten Umsiedlungen in das Konzentrationslage Stutthof und die Außenlager des Konzentrationslagers Dachau . Zuletzt musste er im Außenlager Utting des Lagers Kaufering schwerste Zwangsarbeit sowie im Frühjahr 1945 den Todesmarsch überstehen. In Waakirchen wurde er von der US-Armee befreit und emigrierte nach einiger Zeit nach Israel.
Der zweite Besuch Abba Noars
Seit den 1990er Jahren unterstützt er Initiativen für weitere Mahnmale an der Strecke des Todesmarsches. Seit 2001 ist er Vertreter der ehemaligen Landsberg-Häftlinge im Vorstand des internationalen Dachau-Komitees und seit 2017 dessen Vizepräsident als Nachfolger des 2016 verstorbenen Max Mannheimer. Die Erinnerung an den Holocaust hält er wach durch die Mitarbeit in der Stiftung "Bayerische Gedenkstätten". Seit 2015 gehört Noar dem Stiftungsrat als ordentliches Mitglied an. Außerdem erhielt er 2018 den Bayerischen Verdienstorden für seinen unermüdlichen Einsatz in der Erinnerungsarbeit.
Auch dieses mal wieder war die Aula des Gymnasium nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt und während Abba Noar seine Geschichte erzählte, ruhig und flüssig mit klarer, fester Stimme, hätte man in der Aula eine Stecknadel fallen hören können, so aufmerksam verfolgten die Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Klassen seiner Erzählung der eigenen Geschichte.
Der Schrecken begann mit 13
Abba Noar war 13 Jahre alt, als er mit seiner Familie im heimischen Kaunas in Litauen in die dort für Juden errichtete Ghettos deportiert wurde. "Zunächst stellte sich in den beiden Ghettos, dem großen und dem kleinen, die über eine Brücke verbunden waren, eine gewisse Normalität ein", erzählt Noar. Doch dann wurden aus den Ghettos ein Konzentrationslager. Die Selektionen begannen. Noars älterer Bruder wurde von den Nazis ermordet, weil er versucht hatte, Brot zu kaufen. Die Mutter (38) und sein jüngerer Bruder, gerade einmal sechs Jahre alt, wurden von ihm und seinem Vater getrennt. Abba Noar sah sie nie wieder - sie wurden in der Gaskammer ermordet. Später wurden auch Vater und Sohn getrennt. "Mein Vater hielt meine Hand", erinnert sich Noar. "Das hat ihnen gezeigt, dass wir zusammen gehörten, also rissen sie uns auseinander." Abba Noar gelangte schließlich nach Utting am Ammersee in ein Außenlager, wo es ihm als Häftling, wie er sagt, verhältnismäßig gut ging. Doch in der Hoffnung seinen Vater dort zu finden, meldete er sich freiwillig für den Einsatz im Außenlager Kaufering. Seinen Vater fand er dort nicht, dafür aber eine Art Hölle. "Hier wurde wirklich Vernichtung durch Arbeit betrieben", erzählt er. "Wer ausrutschte oder stolperte, war Rettungslos verloren. Wöchentlich wurden die Leichen gestapelt, bis sie schließlich verbrannt wurden." Im Frühjahr 1945 wurde Abba Noar schließlich auf einen Transport nach Waakirchen geschickt, wo er im März von den Amerikanern befreit wurde. Drei Monate später fand Abba Noar seinen Vater wieder.
"Mit Hass zu leben ist falsch"
"In Litauen lebten vor dem Einmarsch der Deutschen 250.000 Juden, davon etwa 60.000 Kinder. Überlebt haben von den Erwachsenen vier Prozent, also etwa 10.000 Menschen, von den Kindern überlebten 350", resümiert Noar und fügt hinzu: "Der Holocaust hat in Litauen begonnen."
Nach seiner Befreiung, so erzählt Noar, habe er zunächst nur mit Hass gelebt. "Von rund hundert meiner Familienangehörigen haben sieben überlebt", sagt er. Heute weiß er: "Mein Leben fing erst wieder an, als ich aufgehört habe zu hassen. Mit Hass zu leben ist falsch - Hass ist eine schlimme Krankheit." Und noch etwas weiß Abba Noar: "Ich bin einer der Letzten, die am Leben sind."
Daher besucht er seit zwanzig Jahren Schulen in Bayern, erzählt seine Geschichte. Und bei alledem ist er ein humorvoller, positiver Mensch. "Das Leben is a feine Sache!", ist er überzeugt. Und an die Schüler gerichtet: "Macht etwas draus! Hört nicht auf falsche Propheten!" Die sei ganz besonders heute wieder eine mögliche Gefahr. Im Anschluss an seine Erzählung beantwortete Abba Noar noch Fragen der Schüler und signierte seine Biografie.
"Bleibt Menschen!"
Abba Noar beantwortete die Fragen der Schüler.
"Was haben Sie nach dem KZ gemacht?"
Abba Noar humorvoll: "Naja, was kann man machen, wenn man gerade einmal sechs Jahre Schulbildung hatte und keinen Beruf gelernt hat? Ich wurde Beamter!"
"Haben Sie je versucht, zu fliehen?"
Abba Noar: "Wer hätte mich denn aufgenommen?"
"Was würden Sie heute einem ehemaligen KZ-Wärter sagen wollen?"
Abba Noar: "Wenn ich ihn heute träfe? Was sollte ich ihm sagen? Er hat sein Leben gelebt, müsste heute etwa 96 Jahre alt sein. Soll ich ihm und seinen Kindern in seinen letzten Stunden sagen, er sei ein Mörder? Niemals!"
"Besitzen Sie ein Smartphone?"
Abba Noar: "Ich bin smart, ja, ich besitze eines."
"Welche Rat haben Sie für uns?"
Abba Noar: "Bleibt Menschen! Geht immer davon aus, dass auch der andere ein Mensch ist!"
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH