Zeitumstellung - Gott bewahre!
Historische Schriften gegen die Sommerzeit
Die Zeitumstellung ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Katharina Höninger, die Leiterin der agrarhistorischen Bibliothek Herrsching, hat zu diesem Thema interessante historische Beiträge im Haus der bayerischen Landwirtschaft gefunden. Schließlich sind die Landwirte mit ihren Tieren von der Verschiebung des Uhrzeigers besonders betroffen.
Erstmals gab es im Jahr 1916 im deutschen Kaiserreich die „verrückte Zeit“, berichtete Höninger. Sie sei völlig überraschend eingeführt worden. Zahlreiche Zuschriften an das "Landwirtschaftliche Wochenblatt", das in Herrsching archiviert ist, zeugen vom Unmut der Bauern. Die angebliche Lichtersparnis gebe es nicht. Um den Milchzug zu erreichen, müsste man im Dunkeln melken und Petroleum zum Erhellen des Stalls war während der Kriegszeit knapp, hieß es. Im Sommer würden die Bauern sowieso von Sonnenaufgang bis zum letzten Sonnenstrahl arbeiten – egal, was die Uhr anzeige. Die Arbeit noch früher in die Morgenstunden zu verlegen, sei keine Alternative, da das taunasse Gras schlecht zu mähen sei, kritisierten andere. Pfarrer Pröbstl aus Mindelaltheim bezeichnete in einem Schreiben an den Präsidenten des christlichen Bauernvereins die Zeitumstellung sogar als „vierte Gottesgeisel“. „Gott bewahre uns vor Pest und vor der Sommerzeit – die vierte Gottesgeisel“, kritisierte er. Und wegen der langen Sommerabende, „an denen die Burschen und Mädchen umher schwärmen“, befürchtete Pfarrer Pröbstl gar einen Sittenverfall. Er beschwor in dem Schreiben den Widerstand der Landwirte, sollte die Zeitumstellung 1917 wiederholt werden.
Die Uhr tickte anders in Berlin
1918 wurde die Zeitumstellung wieder eingestellt bis zum Jahr 1940. Öffentliche Kritik an der Entscheidung in Form von Schreiben hatte Höninger für diese Zeitepoche nicht in den Archiven gefunden, „war die ländliche Bevölkerung so eingeschüchtert, dass sich Kritik an von der Obrigkeit eingeführten Maßnahmen von alleine verbot?“, wunderte sie sich. Bis 1949 „gab es immer wieder mehr oder weniger regelmäßige Zeitumstellungen. Es gab sogar die Zeit der Besatzungszonen, als in West- und Ostberlin unterschiedliche Uhrzeiten galten", erklärte Höninger.
30 Jahre lang blieb die Zeit danach "unverrückt" bis wegen der Ölkrise 1980 die Entscheidung für die Sommerzeit aus energiepolitischen Gründen fiel. Seit 1996 gilt innerhalb der EU eine einheitliche Zeit. Mittlerweile sind die Tage der Sommerzeit gezählt. Vielleicht ist dies schon die letzte Umstellung?
Die agrarhistorische Bibliothek im Haus der bayerischen Landwirtschaft befindet sich in der Rieder Straße 70. Informationen gibt es auch unter www.hdbl-herrsching.de im Internet.
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