„Es lauern viele Gefahren“
Sicher leben in der digitalen Welt: Ein bewusster Umgang mit den neuen Medien ist wichtig
Während die Technik auf der einen Seite unbegrenzte Möglichkeiten verspicht, werden auf der anderen Seite die Gefahren kaum wahrgenommen. Die digitalen Techniken und ihre Vernetzung blenden die Menschen und hebeln gleichzeitig grundlegende Werte und Freiheiten aus. Und dazu kommt: Im Internet lauern zahlreiche Gefahren. Das gilt nicht nur für Erwachsene sondern, gerade auch für Kinder und Jugendliche. „Wir verfluchen die digitale Welt nicht, zeigen den Schülern aber, dass es wahnsinnig gefährlich ist und dass sie prüfen und hinterfragen müssen“, sagt Ulrike Bauer, Rektorin der Grundschule an der Plinganserstraße. „Wir vermitteln den Kindern, das Internet so zu nutzen, damit sie die Vorteile erkennen.“
"Die Streitkultur verschärft"
Gefährlich kann es vor allem dann werden, wenn Cyber-Mobbing ins Spiel kommt. „Dieses Thema ist schon unter Grundschülern weit verbreitet“, betont Ulrike Bauer. „Das ist gefährlich. Cyber-Mobbing hat die Streitkultur und den Umgang miteinander verschärft.“ Gerade hier müsse die Schule Hilfestellung bieten – und das nicht nur für die Schüler. „Wir müssen auch die Eltern sensibilisieren“, erklärt die Grundschulrektorin. „Eltern haben oft keinen Einblick darüber, was ihre Kinder online machen. Sie müssen einen Blick dafür bekommen, was ihre Kinder im Internet auf dem Smartphone oder zuhause auf dem Computer treiben.“ Das sieht auch Markus Bulitta, Lehrer am Carl-Spitzweg-Gymnasium Germering, so. Er fordert: „Die Eltern müssen in die Pflicht genommen werden.“
„Soziale Medien haben große Macht“
Welch gefährliches Ausmaß Cyber-Mobbing haben kann, hat auf traurige und dramatische Art und Weise auch der Amoklauf am Olympiaeinkaufszentrum gezeigt. Deutlich wurde an diesem Abend aber auch, in welch fatale Richtung sich Falschmeldungen entwickeln können, die über die diversen sozialen Kanäle gestreut werden. Das kann auch Josef Schmid bestätigen, der vor Ort im Einsatzzentrum war: „Soziale Medien haben eine große Macht“, sagt Münchens zweiter Bürgermeister. „Wenn man sich anschaut, was über die sozialen Medien anlässlich des Amoklaufs getwittert und gepostet wurde, hat man gesehen, wie schwer es ist, die Leute ruhig zu halten. Das hat die Arbeit der Polizei sicherlich erschwert.“ Eines steht für Josef Schmid seit diesem schlimmen Freitag fest, wie er selbst betont: „Wir müssen einen viel größeren Fokus auf das Hinterfragen von Meldungen aus den sozialen Netzwerken legen. Da ist jeder einzelne gefragt. Wir müssen es schaffen, ein geeignete Medienkompetenz aufbauen.“ Dies erfordere allerdings viel Schulung und Erziehung. „Sonst können im Umgang mit den neuen Medien ganz schnell Schieflagen entstehen.“
„Wir werden das Leben anders organisieren“
Als "Wirtschaftsbürgermeister" der Landeshauptstadt hebt Josef Schmid aber auch die Vorteile der Digitalsierung hervor. „Wir werden in Zukunft das Leben in der Stadt anders organisieren, nämlich digital. Natürlich ist es erlaubt, kritische Fragen zu stellen. Aber gerade im Bereich der Mobilität und in der Wirtschaft wird sich durch die Digitalisierung vieles noch verbessern. Und auch hier ist liegt die Lösung in der Kompetenz und einem verantwortlichen Umgang mit dem Ganzen“, so der Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft weiter.
Das sieht auch Barbara Schmitz so: „Gerade aus Unternehmenssicht muss Wert darauf gelegt werden, die Chancen zu erkennen, um Geld zu verdienen. Wir können nicht einfach nur sagen, dass es gefährlich und nicht machbar ist“, betont die Rechtsanwältin, die seit 15 Jahren Unternehmensjuristin im Bereich Konzerndatenschutz ist. Man werde die Technologie nicht aufhalten können. „Aber natürlich ist es wichtig, Regeln zu setzen. Da ist sowohl die Politik als auch die Gesellschaft gefragt. Die Chancen der Digitalisierung sind enorm. Die Gefahren sind natürlich auch da, aber das war doch schon immer so. Das Leben birgt Risiken. Wir als Gesellschaft müssen uns einig darüber sein, was wir wollen.“
„Die alte Moral reicht nicht mehr aus“
Dass die digitale Revolution schon voll im Gange ist, streitet auch Florian von Brunn nicht ab. Der Landtagsabgeordnete besteht aber darauf, dass gewisse Regeln festgelegt werden müssten. „Wir brauchen auch in diesem Bereich als Gesellschaft demokratische Bestimmungen. Die alte Moral reicht nicht mehr aus. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Digitalisierung und die dadurch entstehende wirtschaftliche Entwicklung nur positiv ist und sein wird.“ Die digitale Revolution werde die Gesellschaft massiv verändern, ist sich Florian von Brunn sicher. „Das betrifft im Übrigen auch das Sozialverhalten.“ Von daher sei es nur vernünftig, das Ganze vorab ernst zu nehmen und zu diskutieren, anstatt es auszublenden. „Wir werden es nicht schaffen, dass alle Bürger vollständig mündige Nutzer von IT, Smartphones oder Computern werden. Deshalb müssen wir die Unternehmen an die Kandare nehmen, Regeln aufstellen und dafür sorgen, dass die Firmen diese einhalten.“
"Die Werte gibt es gar nicht!"
Natürlich sei die wirtschaftliche Entwicklung durch die Digitalsierung enorm vorangeschritten, findet auch Markus Bulitta. „Aber wenn man mal schaut, was eigentlich hinter solchen Unternehmen wie Google, Amazon oder Apple steckt, stellt fragt man sich doch: was sind das für Firmen, die Milliarden wert sind und eine unglaublich Wirtschaftsmacht haben? Das ist doch alles nur digital. Werte im ursprünglichen Sinne gibt es gar nicht“, so der Lehrer am Carl-Spitzweg-Gymnasium in Germering. „Die Vernetzung ist auf der einen Seite höchst förderlich und produktiv, auf der anderen Seite macht sie mir aber auch Angst.“ Natürlich seien soziale Netzwerke ein gutes Mittel, um Leute zu motivieren, „aber eigentlich ist es unglaublich, was alles über die Menschen gespeichert wird. Was schließlich irgendwann wieder gegen einen verwendet werden kann.“
"Laufend werden Daten übermittelt"
Barbara Schmitz weist deshalb auch darauf hin, wie wichtig der Datenschutz ist. „Auf Unternehmensseite wird es wichtig sein, noch mehr in die Sicherheit zu investieren“, fordert die Juristin, die auch einen Sitz im Beirat der Stiftung Datenschutz inne hat. Das Thema ist aber auch für die gesamte Gesellschaft wichtig. „Der Schutz von Bürgerrechten in einer globalisierten Wirtschaft wird sich stark verändern“, weiß auch Sebastian Ring vom JFF – Insititut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. „Im Kern stimmen wir ganz vielen Datennutzung freiwillig zu, in dem wir ein Häkchen oder die Unterschrift unter einen Kaufvertrag setzen.“ Das kann auch Alexander Kreipl vom ADAC bestätigen: „Vielen Menschen, die sich ein neues Fahrzeug kaufen, ist nicht bewusst, dass sie mit dem Kaufvertrag auch unterschreiben, dass laufend Daten an den Hersteller übermittelt werden.“
Beim ADAC beschäftige man sich schon länger mit diesem Thema. „Die Daten sind natürlich wichtig, weil sie auch der Verkehrssicherheit dienen. Aber nichtsdestotrotz muss der Fahrzeugeigentümer wissen, was genau mit den Daten passiert. Er sollte Einblick haben und dem Ganzen zustimmen beziehungsweise es untersagen können. Und genau hier liegt das Problem, weil die Unternehmen noch blockieren und nicht alles offen legen.“ Moderne Autos sammeln eine Menge Daten, die sie an die Hersteller liefern– und das zum Teil fast im Minutentakt: angefangen von der GPS-Position des Fahrzeugs über den Kilometerstand, den Verbrauch, die Tankfüllung, den Füllstand des Wischwassers oder des Kühlmittels bis hin zu Beschleunigungsdaten, Bremsvorgängen und der Gurtstraffung. „Das lässt wiederum Rückschlüsse auf den Fahrstil zu“, erklärt Alexander Kreipl. „Wenn diese Daten dann an die Versicherungsunternehmen gehen, können sie entsprechend mit den Tarifen spielen. Das ist grundsätzlich sicherlich kritisch zu hinterfragen.“
„Das Ganze richtig einschätzen“
Sebastian Ring betont in diesem Zusammenhang, dass es nicht reicht, sich auf den Good Will der Unternehmen zu verlassen. „Transparenz ist ganz wichtig. Ich will wissen, welche Daten erhoben werden. Über die Daten bekommen die Firmen schließlich ein Bild von einer Person.“ Auch hier müsse man den Fokus auf die Medienkompetenz legen. „Das betrifft ja nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche. Wir alle müssen lernen, das Ganze richtig einzuschätzen.“ Die heutige Kommunikation finde zeit- und ortsunabhängig statt. „Diese neue Art der Interaktion muss erlernt werden. Aber auch hier ist der soziale Faktor entscheidend“, findet Sebastian Ring. „Die allermeisten Kinder und Jugendlichen gehen sehr souverän mit den neuen Medien um. Sie sind durchaus vorsichtig.“
"Keine Ahnung, was da abgeht"
Das sieht auch Tilmann Seiffert so: „Das Bewusstsein gegenüber dem Datenschutz ist bei vielen Jugendlichen da. Das Internet wirkt ja erstmal nicht gefährlich. Aber irgendwann ist man sich auch als junger Menschen den Gefahren durchaus bewusst. Viele Jugendliche sind sensibilisiert“, sagt der Informatikstudent. „Grundsätzlich beschränkt sich das aber nicht nur auf Jugendlichen. Ich denke, dass die allermeisten PC- oder Smartphone-Nutzer wenig Ahnung davon haben, was auf den Geräten im Hintergrund abgeht. Letztendlich lauern mehr Gefahren als man auf den ersten Blick sieht.“
Der 19-Jährige hat selbst sogar schon versucht ohne Handy auszukommen. „Ich wollte einfach mal ausprobieren, wie es ist, ohne Smartphone zu leben“, erzählt Tilmann Seiffert. „Im Grunde hat es zwei Jahre lang ganz gut geklappt. Aber ich habe mir dann doch wieder eines zugelegt. Es hat nun mal in der heutigen Zeit einfach zu viele praktische Vorteile.“ Zudem komme hinzu, dass man viele Leute fast nur noch über bestimmte soziale Netzwerke erreichen könne. Natürlich gebe es eine Gefahr aufgrund der Anonymität im Internet. „Man kann mit ganz vielen Leuten kommunizieren, die man noch nie gesehen hat. Das man da neue Umgangsformen findet muss, ist klar. Ich bin aber insgesamt der Meinung, dass man aus dem Internet sehr viel Positives ziehen kann und sehr tiefgründe Beiträge findet.“
Unsere Sommer-Frage
Wissen Sie, ob in Ihrem Handy jetzt gerade die Ortungsfunktion aktiviert ist? Unsere Gäste antworteten:
Ulrike Bauer: Bei mir ist die Ortungsfunktion eingeschaltet, weil es mein Navi-Ersatz ist.
Markus Bulitta: Keine Ortungsfunktion. Ich habe ein uraltes Handy, mit dem man nur telefonieren kann.
Alexander Kreipl: Ich habe die Ortungsfunktion ausgeschaltet und sie nur für gewisse Anwendungen freigegeben.
Sebastian Ring: Soweit ich sie ausstellen konnte, habe ich die Ortungsfunktion ausgeschaltet.
Josef Schmid: Bei mit ist sie an. Es ist bewusst eingeschaltet, denn bei mir ist es egal, weil ich ein so öffentlicher Mensch bin, dass eh jeder alles über mich weiß.
Barbara Schmitz: Bei mir ist die Ortungsfunktion aus. Das kann man ganz individuell einstellen.
Tilmann Seiffert: Bei mir ist sie nicht eingeschaltet und ich habe auch nur bestimmten Apps den Zugriff gestattet.
MdL Florian von Brunn: Die Ortungsfunkion sie eingeschaltet. Das habe ich heute Morgen bewusst gemacht.
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Ulrike Bauer (Rektorin der Grundschule an der Plinganserstraße)
Markus Bulitta (Carl-Spitzweg-Gymnasium Germering)
Alexander Kreipl (ADAC)
Sebastian Ring (JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis)
Josef Schmid (Zweiter Bürgermeister in München und Leiter des städt. Wirtschaftsreferats)
Barbara Schmitz (Beirat der Stiftung Datenschutz, Mit-Autorin Praxiskommentar zum Datenschutzrecht, ehrenamtliche Datenschutz-Sprechstunde für Jugendliche)
Tilmann Seiffert (Informatikstudent und Websitegestalter)
MdL Florian von Brunn (Landtagsausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz).
Was denken Sie?
Welche Meinung vertreten Sie? Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns: Münchner Wochenanzeiger, Redaktion, Fürstenrieder Str. 5-9, 80687 München, leser@muenchenweit.de. Wir veröffentlichen Ihren Standpunkt.
Alle unsere Gespräche
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