"Integration erfordert Geduld und Langatmigkeit"
Manuel Leupold erklärt, wie unterschiedliche Kulturen zueinander finden können
Manuel Leupold ist seit sechs Jahren Fachkraft für Integration und Migration bei der Stadt Germering. Patrizia Steipe sprach mit ihm über seine Aufgabe und wie Integration gelingen könnte.
"Konzept mit Leben erfüllt"
Was sind die Aufgaben der Fachstelle für Integration und Migration?
Manuel Leupold: Die Fachstelle setzt sich dafür ein, dass in der Stadt alle Menschen mit festem Wohnsitz in Germering unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Teilhabechancen an der Gesellschaft haben. Hierfür wurde 2012 ein Integrationskonzept einstimmig vom Stadtrat verabschiedet. Dieses Konzept wird nun seit mehreren Jahren mit Leben gefüllt. Beispielhaft seien einige Aufgaben genannt:
Organisation und Koordination …
• von Maßnahmen zur beruflichen Integration wie eine seit Frühjahr 2016 bestehende Praktikumsbörse für Personen mit fortgeschrittenen Deutschkenntnissen. Hierauf wird aktuell ein Schwerpunkt gelegt.
• des Integrationsforums. Dieses besteht aus Arbeitsgruppen, die sich den Themen Sprachförderung, Veranstaltungen, berufliche Integration und Zusammenleben annehmen. In diesen arbeiten Bürger, Vertreter von interkulturellen Institutionen wie Sprachkursträger oder Moschee, Caritas, Stadtverwaltung mit.
• von Deutschkursen für Kinder und Jugendliche an Schulen.
• eines ehrenamtlichen Integrationslotsenpools, der Personen mit Sprach- und Orientierungsschwierigkeiten im Alltag bei Behördengängen, Elterngesprächen in der Schule, Arzt- und Anwaltsbesuchen begleitet, für diese dolmetscht (in Sprachen wie Arabisch, Türkisch, Polnisch, Albanisch, Serbo-Kroatisch Spanisch, Russisch), weitervermittelt und eine gewisse Zeit betreut.
• von Einbürgerungsfeiern und interkulturellen Veranstaltungen wie dem interkulturellen Treffpunkt 'Vielfalt leben', bei dem Menschen auf niedrigschwelliger Ebene zusammen kommen und sich austauschen können.
• des internationalen Festes der Kulturen bzw. der interkulturellen Woche
"Direkter Bezug zum Thema Flucht"
Können Sie das neue Projekt "Kulturenmittler" skizzieren?
Manuel Leupold: Der "Kulturenmittler" unterstützt Flüchtlinge in den Unterkünften bei der Orientierung und Verständigung in der deutschen Gesellschaft. Außerdem soll er die Mehrheitsgesellschaft bei der interkulturellen Verständigung sensibilisieren. Darüber hinaus vermittelt er bei interkulturellen Streitigkeiten, vernetzt verschiedenen Stellen wie die Stadt und Einrichtungen vor Ort, die vom Thema Flüchtlinge betroffen sind. Der „Kulturenmittler“ ist auch für die ehrenamtlichen Helfer ein Ansprechpartner.
Seit April 2016 beschäftigt die Stadt Germering einen "Kulturenmittler", der selber in der Unterkunft an der Parkstraße (Don Bosco) lebt und vier Sprachen beherrscht (Arabisch, Kurdisch, Farsi/Dari und Englisch). Er übersetzt bei der Germeringer Tafel, der Germeringer Insel und der Kleiderkammer. Genauso klärt er Bewohner der Unterkunft über Regeln im Hallenbad auf und hat bereits bei Streitigkeiten vermittelt. Im Unterschied zu den Dolmetschern und Integrationslotsen, die in erster Linie für Personen mit festem Aufenthalt und Wohnsitz in Germering tätig sind, haben die "Kulturenmittler" einen direkten Bezug zum Thema Flucht. Für eine neue Unterkunft soll eine weitere Person in diesem Bereich eingesetzt werden.
"Es kann sehr lange dauern"
Was sind die größten Hindernisse bei der Integration in den Arbeitsmarkt?
Manuel Leupold: Unzureichende Sprachkenntnisse, fehlende oder in Deutschland nicht anerkannte Schulabschlüsse und die in diesem Bereich vorherrschende Bürokratie sind sicherlich die zentralen Probleme. Sie können sich vorstellen, dass es beispielsweise bei einem nicht alphabetisierten Migranten ohne jeglichen Schulabschluss sehr lange dauern kann, bis er im nachhaltigen Sinne dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass es den Zuwanderern an Wissen über das duale Ausbildungssystem in Deutschland fehlt und viele am liebsten sofort Geld verdienen möchten. So kommt es, dass eine hohe Erwartungshaltung von Beginn an vorherrscht, die dann enttäuscht wird, weil alles doch länger dauert. Die Folge kann dann sein, dass die betreffenden Personen lethargisch werden und die Motivation schwindet.
"Nicht unter sich bleiben"
Welche Kriterien helfen besonders bei der Integration?
Manuel Leupold: Hilfreiche Kriterien sind einerseits einige der zu erfüllenden Voraussetzungen auf Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft wie z.B. eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts oder ausreichende Deutschkenntnisse. Klar ist aber auch, dass die Akzeptanz der kulturellen Gepflogenheiten in Deutschland ebenso ein wesentlicher Punkt sein muss. Andererseits ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, dass die Zielgruppe über ein „soziales Netz“ verfügt und nicht nur unter sich bleibt. Soziale Kontakte entstehen über den Beruf, in der Mitgliedschaft von Vereinen oder auch in der Umgebung, in der man lebt oder wo das Kind in den Kindergarten und zur Schule geht.
"Arbeitsmarkt schafft Möglichkeiten"
Warum ist es so wichtig, dass sich Flüchtlinge, Zuwanderer und anerkannte Asylbewerber in den Arbeitsmarkt integrieren?
Manuel Leupold: Der Arbeitsmarkt schafft die Möglichkeit, viele der zuvor erwähnten Kriterien für Integration allgemein miteinander zu verbinden und zu forcieren: eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts, der Aufbau sozialer Kontakte und die Anwendung der erworbenen Deutschkenntnisse. Denn was hilft es, wenn jemand ausreichende Sprachkenntnisse vorweisen kann, aber nicht über die Möglichkeit verfügt, diese im Alltag einzusetzen?
"Einiges hat sich entwickelt"
Welches sind Ihre persönlich größten Erfolge bei der Integration?
Manuel Leupold: Natürlich freut es mich, dass die Praktikumsbörse regen Zuspruch erhält und die Vermittlungen bislang sehr gut funktionieren. Es freut mich auch, dass es eine Kommune mit der Größe von Germering vermag, eine gesamte interkulturelle Woche mit mehr als ein Dutzend Veranstaltungen durchzuführen. Das ist nicht selbstverständlich. Aber viel mehr als solche Dinge freut es mich zu sehen, wie sich einige Dinge mit Klienten, die man teilweise über Jahre hinweg betreute bzw. mit denen man zusammenarbeitete, entwickelt haben: So haben jetzt einige einen festen Arbeitsplatz. Bei einigen hat sich Freundschaft entwickelt und man trifft sich regelmäßig auch außerhalb der Arbeitszeit. Es ist schön zu wissen, hier einen Beitrag geleistet zu haben. Das bestätigt allerdings auch, dass der Prozess der Integration Geduld und Langatmigkeit erfordert und in den nächsten Jahren sicherlich weiter erfordern wird.
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