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Rubrik: Gesamt · Ort: fuenfseenland
Hartz IV mal anders
Germeringer Autorin berichtet über ihre Erfahrungen
„Hartz IV“ - der Begriff ist mit Vorurteilen besetzt. Menschen aus desolaten Verhältnissen, ohne Schulabschluss, mit fehlenden Sprach- oder anderen Kompetenzen, die keine Lust auf Arbeit haben – das sind die Attribute die Hartz-IV-Empfängern gerne gegeben werden. Doch die Menschen, die Hartz-IV beziehen, sind so unterschiedlich, wie die gesamte Gesellschaft und wer gestern sich in sozialer Sicherheit wähnte, kann morgen selbst betroffen sein. Ein Beispiel ist Bettina Kenter-Götte. Die prämierte Autorin und Schauspielerin aus Germering setzt sich seit Jahren gegen die Enttabuisierung der Armut ein. So wurde ihr „Hartz-Grusical" 2011 mit dem Stuttgarter Autorenpreis ausgezeichnet. Zur Leipziger Buchmesse ist heuer ihr zweites Buch erschienen: "Heart's Fear/Hartz IV - Geschichten von Armut und Ausgrenzung" (Verlag Neuer Weg).
Restetisch für Arme
„Die Brutalität und Absurdität des Verarmungssystems Hartz IV kann fast jeden treffen. Pflegende Angehörige, Singlemütter und ihre Kinder, Künstler, Kranke, Behinderte, Niedriglöhner, nicht verbeamtete Lehrkräfte und Hochschulabsolvent sind zumindest zeitweise auf staatliche Leistungen angewiesen“, zählt Kenter auf. "Heart's Fear" beschreibt die Wirkungen, die Hartz IV auf Betroffene hat. Die Autorin schildert schonungslos ihre eigenen Erfahrungen wie die Fassungslosigkeit ihrer Umwelt, die kaum glauben möchte, dass die Frau, die man im Bildungsbürgertum verortet hat, sich Lebensmittel von der Tafel holen muss. „Eine Tafel ist ein reich gedeckter Tisch für Wohlhabende“, schreibt Kenter-Götte, sie ist aber auch „ein Restetisch für Arme“ und „mit dem Abstempeln des Tafelausweises wirst auch du abgestempelt; abgestempelt als 'unten'“. Dabei wird Kenter-Götte das Gefühl nicht los, „Essen, das man normalen Menschen nicht zumutet, sei für eine wie mich immer noch gut genug“. Man müsse sich nicht seiner Armut schämen, versichert Kenter-Götte, „aber es ist nicht einfach“. Vor allem, wenn man sich als „Bittsteller“ ungefragt Ratschläge anhören müsse. Die Brutto-Miete sei zu hoch und man müsse sich um günstigeren Wohnraum bemühen? Leicht gesagt: „Wo fände ich etwas Günstigeres? Und wer würde an mich vermieten?“, fragt Kenter-Götter und weiter: „Sicher ist: Wer armen Menschen Hilfe gewährt, gibt meist auch noch seinen Moralsenf dazu: mal wohlmeinend, mal weniger. Denn wer arm ist, muss etwas falsch gemacht haben, bedarf also der Belehrung“.
Im Buch wechseln sich persönliche Erlebnisse, mit Statistiken, Zitaten aus Artikeln und rechtlichen Fakten ab. Das Ganze ist außerdem durch fiktive Dialoge und kleine Gedichte abgerundet und liest sich trotz des ernsten Themas leicht. Es sind nüchterne Feststellungen, die die Härte des Systems entlarven: „Verweigerung wird sanktioniert. Rechtsmittel können eingelegt werden. Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Von der Klage bis zum Gerichtsurteil können drei Jahre vergehen“, schreibt Kenter-Götte. Betroffene lernen so still halten, nicht zu widersprechen und „Kröten schlucken“, meint sie. Oder aber widersprechen. Kenter-Götte hat dies gemacht und mit Hilfe einer Juristin auch Recht bekommen. „Der Anrechnungs-Widerruf wird widerrufe, dann wird der Widerruf des Widerrufs widerrufen und nach Wieder-Widerspruch werden alle Widerrufe widerrufen“, kalauert sie.
Termine der nächsten Lesungen
Bettina Kenter-Götte liest am Mittwoch, 26. September, in der Bücherei Maisach, um 20 Uhr; Am Samstag, 6. Oktober, in der Stadthalle Starnberg, um 19 Uhr; Am Montag, 15. Oktober, in der Seidlvilla München, 19 Uhr; Am Donnerstag, 18. Oktober im KOFRA München, 19 Uhr (nur für Frauen) und am 30. November, Puchheimer Tafel, veranstaltet mit Buchhandlung Bräunling, 19 Uhr.
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