„Wir müssen uns selbst schützen!“
Yvonne Hofstetter warnt: Je mehr wir digitalisieren, umso verwundbarer werden wir
Mit Begriffen wie KI und Digitalisierung können noch immer viele Menschen nur wenig anfangen. Dabei funktionieren Sabotage, Spionage und Subversion längst auch auf digitalem Weg, erklärte Yvonne Hofstetter. Auf Einladung von Philipp Pollems (er ist parteifreier Bürgermeisterkandidat für Planegg) und Gemeinderat Peter von Schall-Riaucour las sie aus ihrem im Oktober erschienenen Buch „Der unsichtbare Krieg. Wie die Digitalisierung Sicherheit und Stabilität in der Welt bedroht“ und erläuterte ihre Einschätzungen.
Hofstetter erinnerte an den Computerwurm Stuxnet, der 2010 das iranische Atomprogramm störte, und berichtete von einem deutschen Autobauer, der wichtige Entwicklungsdaten auf US-Rechnern speicherte – bis er bemerkte, dass fremde Programme seine strategischen Daten mitlesen.
„Je mehr wir digitalisieren, umso verwundbarer werden wir!“ fasste Hofstetter zusammen. Diese Gefahr sei ganz nahe, denn Digitalisierung bedeute nichts anderes als dass sich immer mehr Dinge austauschen und dass immer Gegenstände unseres täglichen Lebens miteinander kommunizieren: Autos, Smartphones, Smartuhren.
„Sie tragen permanent ein Messgerät mit sich herum“
„Digitalisierung heißt, dass wir alles mit allem vernetzen und an allem Sensoren anbringen, die Messdaten erheben und sammeln“, sagte Hofstetter und nannte ein Beispiel: Forscher werfen Sensoren in Hurrikans über dem Meer ab und sammeln mit ihnen Daten. Aus diesen kann man Prognosen über Stärke und Route des Hurrikans errechnen und die Küstenbewohner warnen – sprich: steuernd in die Gesundheit der Bevölkerung eingreifen.
2007 hat Apple Unmengen solcher Sensoren über unseren Köpfen abgeworfen, erklärte Hofstetter ihren verdutzten Zuhörern: die Smartphones! „Sie tragen permanent ein Messgerät mit sich herum, das Daten Ihres Lebens speichert“, warnte Hofstetter die Smartphonenutzer, „Ihr Leben wird analysiert: Wie ist Ihr Verhalten? Was denken Sie?“
Maschinen teilen Menschen in Gruppen ein
All diese von den Geräten um uns herum gesammelten Daten werden von Maschinen ausgewertet – das sei die künstliche Intelligenz (KI) oder „Umgebungsintelligenz“. Die Aufgabe der künstlichen Intelligenz sei, Menschen zu kategorisieren und zu klassifizieren. Also: Menschen in Gruppen aufzuteilen.
Das Netz dieser Daten der Menschen, ihres Verhaltens und ihrer Gedanken werde immer wertvoller, so Hofstetter. Man könne es sich zum einen für eigene Machtstrukturen nutzbar machen, zum anderen sei die Klassifizierung ein gewinnbringendes Geschäftsmodell: „Je besser Sie einer möglichst kleinen Gruppe zuzuordnen sind, desto besser kann man Sie mit Werbung bespielen – auch mit politischer“, erklärte Hofstetter.
Die Gesellschaft wird umgebaut in einen Megacomputer
So verschwimme etwas Wesentliches: Personen werden wie eine Sache behandelt. „Wir werden zum Produkt gemacht“, warnte Hofstetter. Das sei zwar bereits Grundlage des Kapitalismus und erst recht des Neoliberalismus gewesen, die Digitalisierung habe aber noch weiter reichende Folgen: „Der Umbau der Gesellschaft in einen Megacomputer macht Krieg auf einer neuen Ebene möglich!“ sagte Hofstetter. „Sie können im Cyberspace Dinge tun, die so heimtückisch und wirkungsvoll sind wie militärische Maßnahmen.“ Hacker könnten zum Beispiel die Stromversorgung oder Flugüberwachung eines anderen Staates angreifen und ausschalten.
Hofstetter erinnerte: Das militärische Gleichgewicht der Nuklearmächte habe sich aufrechterhalten lassen, weil jede Weltmacht die Fähigkeit zum Zweitschlag hatte. Ein potentieller Angreifer wusste also, dass er den Gegner zwar vernichten kann, danach aber selbst vernichtet werde. Diese Sicherheit gebe es jetzt nicht mehr: Die Anonymität im Cyber Space schütze einen Angreifer, weil man gar nicht mehr feststellen könne, wer der Angreifer sei. Daher stehe man vor einer neuen strategischen Situation.
Ständig Tritte gegen das Schienbein
„Die neuen Technologien verschieben das strategische Gleichgewicht hin zu mehr Offensiven, weil man als Angreifer nicht erwischt wird“, legte Hofstetter dar und ergänzte: „Wenn ich Ihnen ans Schienbein trete und Sie nicht wissen, dass ich es war, dann erhöht das meine Motivation, Sie mal zu treten.“
Solche Tritte gegen das Schienbein seien längst an der Tagesordnung. So werde die Telekom-Infrastruktur in Deutschland („also die Möglichkeit, dass Sie telefonieren können“) pro Minute 7.000 Mal angegriffen. Die meisten dieser Telefon-Attacken kommen, erklärte Hofstetter, aus den USA.
„Das verstößt gegen unsere Verfassungen“
Wie geht man mit solchen Angriffen um? Verfolgt man sie strafrechtlich oder reagiert man darauf wie auf eine militärische Attacke? „Wir arbeiten daran, aber eine richtige Lösung haben wir nicht“, räumte Hofstetter ein. Das Recht halte mit der Digitalisierung nicht Schritt. Es fehlen weltweit Standards. Das liege eben auch daran, dass sich mit persönlichen Daten, dem „Öl des 21. Jahrhunderts“ viel Geld verdienen lasse. Deswegen werde auf nationaler Ebene so wenig reguliert, weil man aus Angst vor Wettbewerbsnachteilen die Konzerne nicht bremsen wolle. Der Nachteil dabei: „Der Mensch wird behandelt wie Ware“, so Hofstetter, „der Mensch geht unter.“ Die EU habe die Zeichen der Zeit dagegen besser verstanden: „Lässt man die Digitalisierung einfach so laufen, verstößt das gegen unsere Verfassungen.“ Das habe die EU zuerst erkannt. „Wir nehmen es nicht wahr, aber da tut Brüssel gerade etwas für uns!“
„Es braucht einen Ausgleich“
Beantworten müsse man aber auch ethische Fragen – etwa wozu man künstliche Intelligenz benutzen wolle. „Wir wollen das womöglich nicht so machen wie die USA und anders als China, wo durch KI mit Gesichtserkennung die Bürger überwacht werden“, so Hofstetter.
Eindringlich appellierte sie: „Wir müssen uns selbst schützen – uns hilft kein anderer!“ Diese Verantwortung müsse auch jeder Einzelne übernehmen, indem er zwei Ratschläge beherzige: 1. Erst denken, dann klicken. 2. Sicherheitsupdates installieren. „Mehr geht gerade nicht“, sagte Hofstetter.
„Wir sind wahnsinnig technikgläubig geworden“, bedauerte die Expertin und kritisierte, dass der Staat fast seine gesamte Bildungsförderung in den MINT-Bereich gebe. „Es braucht einen Ausgleich mit Ethik, mit Jura, mit Geisteswissenschaften - mit etwas, das unserer Seele entspricht und nicht noch mehr beschleunigt!“
Wo wollen wir hin?
„Man muss sich mit der Frage des Menschseins beschäftigen, damit man versteht, was man will“, ist auch Philipp Pollems überzeugt. Als Dozent für Finanzwesen an der EU Business School befasst er sich mit seinen Studenten daher neben Wirtschaft auch mit Ethik.
„Mich nerven in den Flyern die Spiegelstrichaufzählungen“ sich einander oft widersprechender Forderungen, sagt er zum Wahlkampf. Er will die Gemeindepolitik anders angehen: Wie wollen wir leben? Wie begegnen wir den Herausforderungen? Wo wollen wir hin? Diese Fragen müsse man zuerst klären – und dann die Schritte definieren, wie man an das festgelegte Ziel komme.
„Barbaren mit Computern“
Yvonne Hofstetter erklärte Begriffe:
Cloud:
"Die Cloud sind Rechner fremder Leute. Wir und Behörden wie die Polizei schaufeln unsere Daten auf diese Rechner - ohne zu wissen, wer die mitliest und analysiert."
Digitalisierung:
"Digitalisierung heißt, dass wir alles mit allem vernetzen und an allem Sensoren anbringen, die Messdaten erheben und sammeln."
Smartphone:
"Ein Smartphone ist ein Träger von Sensoren, der Sie vermisst und Daten Ihres Lebens, Ihr Verhalten, Ihr Denken aufzeichnet."
Künstliche Intelligenz:
"Künstliche Intelligenz ist nicht der Terminator. Es sind künstliche neuronale Netze mit der Aufgabe, Menschen in Gruppen aufzuteilen."
TU-Absolventen:
"Das sind Barbaren mit Computern! Die wissen oft nichts von Geschichte, von Philosophie, von Rechtschreibung. Aber der Mensch ist nicht nur Zahl und Daten!"
Die Expertin, die warnt
Yvonne Hofstetter, 1966, Juristin und Essayistin, startete ihre IT-Karriere 1999 als Produktmanagerin für Systeme der Verteilten Künstlichen Intelligenz (KI). 2009 gründete Hofstetter als Co-Founder das Softwareentwicklungsunternehmen Teramark Technologies GmbH mit Sitz bei München. Das Unternehmen entwickelte KI-basierte Lagebilder der Finanzmärkte, um die Risiken ausländischer Handelsaktivitäten grenzüberschreitend tätiger Firmen zu bewerten.
Hofstetter ist Mitglied des Datenschutzbeirats der Deutschen Telekom AG; Mitglied des Ethikbeirats der Hochschule der Medien Stuttgart, Institut für Digitale Ethik (DIE); Mitglied der Kommission für Demokratie und Technologie des Chatham House The Royal Institute For International Affairs in London.
Hofstetter ist beliebte Keynote-Speakerin über Themen der Digitalisierung. Ihre Bücher "Sie wissen alles" (2014) und "Das Ende der Demokratie" (2016) erschienen im Bertelsmann-Verlag. Beide wurden Bestseller. Ihr neuer Titel "Der unsichtbare Krieg" ist bei Droemer Knaur erschienen und seit Herbst erhältlich.
"Wir werden auf das Messbare reduziert"
Yvonne Hofstetter war 2017 Gast bei den Sommergesprächen der Münchner Wochenanzeiger zum "Klammergriff der Digitalisierung: Womit bezahlen wir unsere Bequemlichkeit?"
Sie finden den Beitrag unter www.mehrwissen-id.de mit der Nummer 91976 (diese bitte im Suchfeld der Seite eingeben).
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