„Sicherlich eine sehr große Herausforderung“
München wächst, doch der Wohnungsmarkt kommt nicht hinterher
Nicht nur in München ist und bleibt die Lage auf dem Wohnungsmarkt angespannt. Bundesweit fehlen geschätzt eine Millionen Wohnungen, vor allem günstiger Wohnraum ist knapp. Um die Situation zu entspannen hat Bundesbauministerin Barbara Hendricks aktuell einen Vorschlag unterbreitet: Damit sich der Bund weiter für den sozialen Wohnungsbau einsetzen kann, möchte sie eine Grundgesetzänderung durchsetzen. Denn durch die Föderalismusreform ist die Zuständigkeit vor zehn Jahren an die Länder übergegangen und die Zahlungen des Bundes laufen 2019 aus. Geht es nach der SPD-Politikerin, dann sollen zudem die Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf zwei Milliarden Euro jährlich verdoppelt werden.
Rudolf Stürzer kann die Forderung nach mehr Geld nicht nachvollziehen. „Ich finde diese Aussage skandalös“, erklärt der Vorsitzende des Haus-und Grundbesitzervereins München. „Im sozialen Wohnungsbau sind zwei Drittel aller Wohnungen fehlbelegt. So kann das nicht weitergehen. Wenn jemand die Einkommensgrenze überschritten hat, muss die Wohnung geräumt werden. Das mag hart sein, aber gegenüber denjenigen, die wirklich eine Sozialwohnung brauchen, ist das sonst ungerecht.“ Dem Haus- und Grundbesitzerverein seien viele solcher Fälle bekannt. „Ich könnte hunderte Beispiele nennen. Und das ist nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern Tatsache“, sagt Rudolf Stürzer. „Beim sozialen Wohnungsbau muss laufend geprüft werden.“
„Grober politischer Fehler“
Aus Sicht des Vorsitzenden des Haus-und Grundbesitzervereins München ist die Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe ein „grober politischer Fehler“ gewesen. „Wenn jemand schon nicht raus muss aus einer Sozialwohnung, dann muss er doch zumindest eine Abgabe zahlen“, meint Rudolf Stürzer. Seine Begründung: Mit dem Geld könnte der Staat weitere Sozialwohnungen bauen oder, „was wir für besser halten, wirklich Bedürftige mit Wohngeld unterstützen“. Nach Meinung des Haus- und Grundbesitzervereins München ist also die sogenannte Subjektförderung besser als die Objektförderung. „Das ist zielführender“, betont Rudolf Stürzer. „Mit den zwei Milliarden könnte man hunderttausende von Leuten unterstützen. Wir sind der Auffassung: lieber Wohngeld und dafür weniger sozialen Wohnungsbau.“ Da der soziale Wohnungsbau regelmäßig in Fehlbelegungen ende, sei er eine Sackgasse. „Da wird praktisch viel Geld genau den Leuten zugeschoben, die es gar nicht brauchen. Mit einem zielgerichteten Wohngeld wäre viel mehr Bürgern geholfen.“
„Es wurde viel versäumt“
Maximilian Heisler vom „Bündnis Bezahlbares Wohnen“ sieht das ähnlich: „Wir waren früher der Meinung, dass die Subjektförderung der falsche Weg ist“, betont er. Mittlerweile sehe man das aber anders. „Wir haben in dieser Stadt zu wenig Wohnraum, deshalb sollte das Subjekt gefördert werden.“ In der Landeshauptstadt sei nicht nur das Mietniveau sondern auch die politische Situation sehr festgefahren. „Aus meiner Sicht kann man aktuell wenig machen“, sagt Maximilian Heisler. „Das geht sicherlich auf die letzen 20 Jahre stadtpolitischer Gestaltung zurück. Es wurde sehr viel versäumt.“ Bezahlbarer Wohnraum werde vor allem aufgrund der energetischen Modernisierungen schnell unbezahlbar. „Das ist für uns der Knackpunkt Nummer eins“, so Maximilian Heisler weiter. „Die Modernisierungsumlagen verursachen im Kern Mietpreissteigerungen enormen Ausmaßes.“ Deshalb fordert er, dass die Energiesparverordnung (EnEV) politisch noch einmal angegangen werden müsse.
Mietwohnungsbau fördern
Was die EnEV betrifft, bekommt Maximilian Heisler Unterstützung von Julia Obermeier: „Das Ganze sehe ich auch als sehr problematisch“, sagt die Bundestagsabgeordnete. „Der Anstieg der Mieten ist im Vergleich zu der minimalen Energieersparnis nicht realistisch.“ Für die CSU-Politikerin ist aber auch klar, dass der Mietwohnungsbau gefördert werden muss „und da halte ich eine steuerliche Abschreibung für die Investoren durchaus für sinnvoll“. Sie gibt aber zu bedenken, dass beim Wohnungsbau immer auch die verkehrliche Erschließung bedacht werden müsse. „Schon jetzt sind die S- und U-Bahnen voll, auf den Straßen herrscht Stau. Der Turbo-Wohnungsbau darf nicht zum Verkehrskollaps führen.“ Deshalb sei auch die zweite S-Bahn-Stammstrecke ein wichtiges Projekt, „weil es für das Umland aufgrund der Taktverkürzung attraktiver wird mit der S-Bahn zu fahren“, erläutert Julia Obermeier. So könne man den öffentlichen Personennahverkehr weiter ausbauen, was gleichzeitig bedeute, dass der Siedlungsdruck auf die Stadt weniger werde. „Das Thema Mobilität ist ganz wichtig, um das Umland besser einbeziehen zu können. Da muss sicherlich noch ein Umdenken stattfinden.“
Umlandgemeinden einbinden
Fakt sei, dass in der Landeshauptstadt in der Vergangenheit zu wenig gebaut wurde, „darüber sind wir uns alle einig“, erklärt Julia Obermeier weiter. „Das sieht man auch daran, dass sich im vergangenen Jahr 12.500 Menschen gemeldet haben, die eine Sozialwohnung brauchen. Es konnten aber nur 3.200 Wohnungen vergeben werden.“ Es sei zu wenig Bestand vorhanden. Dazu komme der enorme Zuzug, der nicht nur auf München, sondern auch auf dem Umland laste. „Das zusammen ist sicherlich eine sehr große Herausforderung“, so die Bundestagsabgeordnete. Die Zusammenarbeit mit den Umlandgemeinden sei eine wichtige Komponente – auch außerhalb des S-Bahnbereichs. „Ich bin im Landkreis Mühldorf aufgewachsen und dort gibt es Gemeinden, die versuchen, das Wohnen attraktiv für die Menschen zu machen. Denn für diese Gemeinden ist es wichtig, dass der Kindergarten und die Grundschule als Standort erhalten bleiben. Das bedeutet also, die Stadt ist der Magnet mit den ganzen Arbeitsplätzen, gleichzeitig geht es immer wieder um die Frage nach der Mobilität."
"Viele Vorbehalte"
Die Neurieder Gemeinderätin Mechthild von der Mülbe setzt auf den Austausch der Umlandgemeinden mit der Stadt München. „Ich sehe uns da schon in der Pflicht“, sagt die SPD-Politikerin. „Allerdings darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Stadt ihre Probleme auf Kosten der Umlandgemeinden lösen will.“ Denn auch die einzelnen Gemeinden stehen vor großen Problemen. „In der Bevölkerung gibt es die Befürchtung, dass sich durch einen massiven Zuzug das Gesicht der Gemeinde ändert. Da gibt es viele Vorbehalte“, konstatiert Mechthild von der Mülbe. Wenn die Gemeinde auf den wenigen freien Flächen Wohnungsbau ausweise, habe das auch Konsequenzen in anderer Hinsicht. „Wir müssen darüber nachdenken, ob es noch einen Hort oder eine Kindertagesstätte braucht und vieles mehr“, betont die Gemeinderätin. Im vergangenen Jahr wurde in Neuried eine neue Kinderkrippe für 1,2 Millionen Euro fertiggestellt. „Bei einem Haushalt von 20 Millionen Euro sind das schon enorme Kosten. Das sind Beträge, die eine Gemeinde haushaltstechnisch ganz schnell aus dem Tritt bringen.“
Grundsätzlich müsse man beim Wohnungsbau aber auch daran denken, „Wohnraum für ganz normale Einkommen zu schaffen“, erklärt Mechthild von der Mülbe. „Für Menschen, die überhaupt keine Förderung bekommen, für die es auf dem Münchner Wohnungsmarkt aber trotzdem schwer ist.“ Hier seien Genossenschaften eine realistische Lösung. „Sie schaffen langfristig günstigen Wohnraum, weil sie sich nicht am Markt orientieren.“ In Neuried ist deshalb auch geplant, eine Wohnungsbaugenossenschaft zu gründen.
„Wir müssen lernen, Stadt auszuhalten“
Genossenschaften seien eine gute Sache, „werden aber das Wohnungsproblem, dass wir aktuell haben und das sich noch verschärfen wird, nicht lösen“, meint Rudolf Stürzer. Als Genossenschaft werde man oft „wie die Sau durchs Dorf getrieben“, betont Yvonne Außmann, Vorstandsmitglied der Wogeno München, in diesem Zusammenhang. „Die Genossenschaften sollen richten, was die Stadtpolitik viele Jahre lang nicht geschafft hat.“ Auch sie ist der Meinung, dass der soziale Wohnungsbau bei Weitem nicht ausreichend sei. „Wir müssen alle ein klein wenig mehr zusammenrücken und auch als Stadtgesellschaft toleranter sein. Es geht auch darum, noch dichter zu werden“, erklärt Yvonne Außmann. „Wir müssen lernen, Stadt auszuhalten. Das betrifft nicht nur das Thema Nachverdichtung, sondern auch die Neubaugebiete, die unseres Erachtens deutlich mehr Potenzial haben.“
Konfliktpotenzial steigt
Für das Wogeno-Vorstandsmitglied ist zudem eine Bodenrechtsreform unumgänglich. „Solange Grund und Boden dem freien Markt preisgegeben sind, haben wir kaum Möglichkeiten, etwas zu ändern. Tatsache ist, Wohnen ist ein Grundrecht – das steht so in der Bayerischen Verfassung“, betont Yvonne Außmann.
Das sieht auch Werner Brandl so: „In der bayerischen Verfassung steht in Artikel 106, der Bau billiger Volkswohnungen ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden. Da werden all unsere Mandatsträger drauf vereidigt“, erklärt das Gewerkschaftsmitglied der Polizei. „Polizisten brauchen Wohnungen, Krankenschwestern, Pflegekräfte, Kindergärtnerinnen und Lehrer brauchen Wohnungen – und diesen Wohnraum muss man ihnen zur Verfügung stellen“, fordert Werner Brandl. Was die Nachverdichtung angeht, gibt er jedoch zu bedenken, dass mit zunehmender Dichte auch das Konfliktpotential und die Streitereien ansteigen. „Als Polizist weiß ich, wovon ich rede. Der soziale Aspekt ist ein ganz wichtiger. Auf dem Land kennt man seine Nachbarn noch. In München wissen die Leute oft nicht, wer direkt nebenan wohnt und was sich dort tut.“
Wohnungstausch oft schwierig
Und auch für Senioren ist der Wohnungsmarkt in München ein schwieriger. „Mir ist deshalb das Thema Wohnungstausch wichtig“, sagt Gustel Braun. „Ältere Menschen bewohnen oft größere Wohnungen, möchten dann aber lieber in eine kleinere ziehen“, erzählt die Laimer Seniorenbeirätin. „Finanziell ist das aber oft nicht möglich, weil die kleineren Wohnungen meistens genauso viel oder sogar noch mehr kosten. Oder sie möchten vom vierten Stock ins Erdgeschoss ziehen, weil die Treppen Schwierigkeiten bereiten. Ganz allgemein tun sich die Wohnungsbaugesellschaften beim Wohnungstausch sehr schwer. Da sind sie, genauso wie viele Genossenschaften, nicht flexibel genug.“ Auch Gustel Braun betont, dass die Stadt München in der Vergangenheit viele Fehler gemacht habe. „Ich denke zum Beispiel an den Verkauf sämtlicher Bundesbahnwohnungen. Da wurde soviel falsch gemacht. Und heute kann man das nicht mehr ausbügeln. Das ist ein großes Problem.“
„Nicht vermehrbar“
Grundsätzlich sei das Hauptproblem, „dass Grund und Boden nicht vermehrbar sind. Das unterscheidet das Ganze zum Beispiel von Aktien“, erklärt Andreas Lotte. Die Preiserhöhungen in München sind seiner Meinung nach höchst problematisch. „Ich kann mir vorstellen, dass es hierzu Alternativen gibt, die aber nicht leicht umzusetzen sind.“ Der SPD-Landtagsabgeordnete denkt dabei unter anderem an die sogenannte Bodenpreisbremse. „Damit keine Ungleichheiten entstehen, braucht es eine gewisse Steuerung. Im Moment ist das Hauptproblem, dass die Verfügbarkeit der Grundstücke nicht mehr gegeben ist.“
Hier sei die Stadt München allerdings aktuell auf einem guten Weg, betont Andreas Lotte. „Sie stellt unter Auflagen Grundstücke zu einem günstigeren Preis zur Verfügung – auch an private Bauträger, die dann verpflichtet werden, die Wohnungen dauerhaft im Bestand zu halten.“ Dies funktioniere auch in der Marktwirtschaft, so der Politiker weiter. Denn auch im privaten Bereich gebe es viele Interessenten. „Und das Ganze ist etwas anderes als nur Eigentumswohnungen zu bauen.“ Deshalb fordert Andreas Lotte, dass auch der Freistaat Bayern Grundstücke zur Verfügung stellen müsse. Davon gebe es einige in München. „Unter den Auflagen, wie das die Stadt München tut, wäre das eine gute Sofortmaßnahme.“
Unsere Sommer-Frage
Wie lange wohnen Sie schon in Ihrer derzeitigen Wohnung? Unsere Gäste antworteten:
Yvonne Außmann: In meiner jetzigen Wohnung wohne ist erst seit einem Jahr. Vorher habe ich zwölf Jahre in einer anderen Wohnung gelebt.
Werner Brandl: Mit dem zweiten Kind sind wir in eine größere Wohnung gezogen. Da wohnen wir heute noch. Das ist jetzt 36 Jahre her.
Gustel Braun: Ich wohne seit über 35 Jahren in einer ehemaligen Bundesbahnwohnung. Mein Mann war bei der Bundesbahn tätig war. Mittlerweile haben wir die Wohnung gekauft.
Maximilian Heisler: Ich bin seit 2009 bei der GBW – mit allen anfänglichen Tiefen und letztlich auch Höhen.
MdL Andreas Lotte: Ich bin 2005 in meine jetzige Wohnung auf der Schwanthalerhöhe gezogen, und sie hat 54 Quadratmeter.
MdB Julia Obermeier: Seit ich mit meinem Mann zusammengezogen bin.
Rudolf Stürzer: 20 Jahre.
Mechthild von der Mülbe: Seit 18 Jahren – als unsere wachsende Familie schon damals händeringend nach einer finanzierbaren Wohnung gesucht hat.
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Yvonne Außmann (Vorstand Wogeno München eG / Co Haus München GmbH)
Werner Brandl (Gewerkschaft der Polizei, Seniorengruppe PP München)
Gustel Braun (Seniorenbeirätin Laim)
Maximilian Heisler (Bündnis Bezahlbares Wohnen)
MdL Andreas Lotte (Landtagsausschuss für Wirtschaft)
MdB Julia Obermeier
Rudolf Stürzer (Vorsitzender Haus- und Grundbesitzerverein München und Umgebung e.V. )
Mechthild von der Mülbe (Wohnungsbaugenossenschaft In Gründung und Gemeinderätin Neuried).
Was denken Sie?
Welche Meinung vertreten Sie? Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns: Münchner Wochenanzeiger, Redaktion, Fürstenrieder Str. 5-9, 80687 München, leser@muenchenweit.de. Wir veröffentlichen Ihren Standpunkt.
Alle unsere Gespräche
Lesen Sie weitere Sommergespräche in Sendlinger Anzeiger / Werbe-Spiegel bzw. Samstagsblatt:
"Jeder hat eine Chance verdient"
Wie gelingt Integration in den Betrieben?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82158)
"Man muss die Kinder auch mal lassen"
Wie funktionieren Familien?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82159)
"Sterben muss wieder greifbar sein"
Wie gehen wir mit Sterben und Tod um?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82160)
Sicherheit in der digitalen Welt
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82161)
"Alles muss mit der Familie vereinbar sein"
Welche Lebensziele sind wichtig?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82162)
Lesen und lernen wir richtig?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82164)
Ist Sparen noch sinnvoll?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82165)
Zusammenhalt in München funktioniert - noch!
Bringt Zusammenhalten allen etwas?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82166)
"Die Leuten kaufen wieder bewusster ein"
Heimat: Brauchen wir den lokalen Einzelhandel?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 82167).
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH