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Kleine Fluchten

Ein Loblied auf den guten alten Spaziergang

Tut gut und macht Mut: die erlaubte Runde vor der Haustür in schönster Winterlandschaft. (Bild: Hauck)

Ach könnte man es doch halten wie der Meister Petz, gemütlich Winterschlaf halten und erst dann wieder aus seiner Behausung herauskrabbeln, wenn der ganze Corona-Wahnsinn glücklich vorbei ist. Viele machen es ja auch so und bleiben in ihrer Höhle vor dem Fernseher, obwohl das Dauer-TV-Glotzen wenig bekömmlich ist. Einmal am Tag also sollte man mindestens raus, auch wenn der innere Schweinehund ganz schön groß ist – vor allem wenn es keinen Waldi gibt, der den Menschen ins Freie zwingt. Manche scheitern schon an der Kraftanstrengung, die Jogginghose gegen die Jeans auszutauschen. Hat man diese Hürde aber überwunden, kann es nur besser werden. Nicht nur weil man die Wissenschaft an seiner Seite weiß, die einem unermüdlich vorbetet, wie viel gesünder, entspannter, jünger man mit jedem Schritt wird. Man weiß es aus eigener Erfahrung: auch wenn man noch so knurrig losläuft, man kommt besser gelaunt nach Hause.

Revival des Gehens

Lange Zeit war das Spazierengehen als spießig und sterbenslangweilig verpönt. Man denke an den verhassten Verdauungsspaziergang oder den erzwungenen Sonntagsspaziergang mit den Eltern. In Zeiten von Corona hat sich die Einstellung komplett gedreht. Es ist ein altbekanntes Phänomen: alles, was knapp ist, erscheint umso begehrenswerter. Wer in Zeiten von Corona und Lockdown also möglichst zuhause bleiben soll, empfindet die erlaubte kleine Runde vor der Haustür plötzlich als ersehnten Mini-Ausflug. Viele Leute entdecken angesichts der vielen Beschränkungen den Wert des Spazierengehens neu für sich.

Kulturgeschichte

Über die Kulturgeschichte des Spazierengehens sind schon ganze Doktorarbeiten geschrieben worden. Nur so zum Spaß war in den alten Zeiten niemand draußen unterwegs. Das Gehen war Mittel zum Zweck, schon weil es an anderen Befördermöglichkeiten mangelte. Und wer vom gemeinen Volk hatte schon die Zeit dazu, sich müßig die Beine zu vertreten. Die Freizeitbeschäftigung begann also als Privileg des Adels, der am liebsten in den eigenen prachtvoll angelegten Gärten lustwandelte. Öffentlich zugängliche Parks kamen erst um 1800 auf. Man musste auch erst lernen, die lange Zeit als bedrohlich empfundene Natur als schön wahrzunehmen. In der Romantik mit ihrer Verklärung der Natur kam es zur ersten breiten Wanderbegeisterung. Es dauerte nicht lange, dann kam das Spazierengehen im Bürgertum immer mehr in Mode – am liebsten auf eigens angelegten Promenaden oder kurstädtischen Wandelhallen, um „bella figura“ zu machen, wie es sich in Italien beim abendlichen Flanieren über den Corso heute noch erhalten hat.

Bin dann mal weg

Hierzulande und in unseren Tagen fiel das scheinbar sinnlose Herumgehen immer mehr aus der Zeit. Wenn schon zu Fuß unterwegs, dann ja nur sportlich beim Trekking, Hiking oder Nordic Walking, beim Skaten oder Rollerblading und wie die Begriffe alle heißen. Dabei gibt es nichts Einfacheres, als vor die Haustür zu treten und loszugehen. Man läuft, um Landschaft und Natur zu genießen, zur Erholung und Entspannung. In der frischen Luft hat man die Zeit, die Gedanken zu sammeln und den Kopf frei zu kriegen. Ein therapeutischer Effekt, gerade in Zeiten vom Home-Office, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt. Eine kleine Flucht vom Alltag. Ich bin dann mal weg, auch wenn‘s nur für eine Stunde oder weniger ist. Dass die besten Ideen beim rhythmischen Schreiten kommen, hat eine Reihe von berühmten Künstlern und Wissenschaftlern eindrucksvoll bewiesen.

Große Spaziergänger

Große Spaziergänger der Geschichte waren zum Beispiel Sigmund Freud, Charles Darwin, Charles Dickens, Gustav Mahler und Piotr Tschaikowsky. Ohne mindestens einen langen flotten Spaziergang war der Tag nicht komplett, meistens wurde er nach dem Mittagessen gemacht. „Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen und kenne keinen Kummer, den man nicht weggehen kann“, ist ein treffendes Zitat, das von dem leidenschaftlichen Spaziergänger und dänischen Philosophen Soren Kierkegard stammt.

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