Klagerufe und Moosgespenster
Dampfer-Geschichten von Grafrath bis nach Stegen

Gemeinsam am Ruder der Geschichte: Grafraths Ortsarchivarin Christel Hiltmann und Richard Braun vom Dampfschiff. (Bild: Huss-Weber)
Langsam zog er zwischen den kleinen Sträuchern auf, schlängelte sich immer mehr durch die Bäume, machte die Sicht unmöglich. Kalt wurde es zudem. Der Jäger zog seinen Lodenmantel enger um sich, den Hut tiefer ins Gesicht. Sein treuer, vierbeiniger Begleiter folgte ihm tapfer durch den Nebel. Plötzlich - ein lautes Klagen - oder doch nicht? Wieder! Der laute Ruf. Die beiden folgten dem wehmütigen Klagen und tauchten völlig in den Nebel ein, bis er sie endültig verschluckte.
Tage später fand man ihn, den Jäger. Sein treuer Hund immer noch neben ihm sitzend. "Den hot d'Mooskuah ghoit", munkelte man damals. Der Hund blieb von ihr verschont - der Waidmann nicht.
Sagen und Legenden
Die Geschichte der Mooskuh ist wohl so alt wie die Moore im Fünf-Seen-Land selbst. Um 1887 muss es gewesen sein, als sich der Grünrock im Bachener Moos verirrte. Die Geschichte des Toten spielte sich mal im Bachener Moss, mal im Ampermoos ab. Eben da, wo man glaubte, die Mooskuh gehört zu haben.
Bei diesem Gespenst handelt es sich aber - wie man heute weiß - nicht um eine gequälte Seele, die nachts Unschuldige ins Moos lockt, sondern um den Ruf der Rohrdommel. Der Vogel aus der Familie der Reiher ist nur noch selten zu sehen. Damals war er jedoch vielzählig auf der Wasserstraße zwischen Grafrath und Ammersee anzutreffen. Sein Ruf klingt ähnlich wie der Klagelaut einer Kuh. Früher folgten viele Menschen diesem Ruf, weil sie dahinter ein verirrtes Kälbchen vermuteten. Einige bezahlten diese Hilfsbereitschaft mit dem Leben. So war die Geschichte der "Mooskuh" entstanden, die die Menschen zwar ins Moos mit ihren Klagerufen lockte, aber nicht mehr hinaus ließ.
Auf zum Ammersee
"Noch heute sind die Geschichten um das Ampermoos und die Seenschifffahrt unvergessen", weiß Grafraths Ortsarchivarin Christel Hiltmann. "Zu einer Zeit, als man noch nicht einfach in sein Auto steigen konnte und losfuhr, war die Amper ein wichtiges Verbindungsmittel zwischen den Ortschaften", erklärt sie weiter.
Am 10. Mai 1880 änderte sich vieles für Grafrath. Der Sommerfrischler-Verkehr von München nach Grafrath hatte mit der Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie Einzug gehalten.
So kam es, dass an schönen Tagen fast 2.000 Besucher sich auf den Weg gen Ammersee machten. Der Pendelverkehr auf der Amper war eröffnet. Wo heute zwischen dem 15. März und dem 15. Juni aus ökologischen Gründen Wassersport verboten ist, herrschte damals ein reger Betrieb. Mehrere Dampfer täglich brachten die Erholungssuchenden vom Anlegepunkt Grafrath nach Stegen an den Ammersee.
"Einmal kam es zu einem Steuerbruch eines Dampfers", weiß die Archivarin. "Ohne Funkverkehr schaltete der Dampfer ein Notsignal zur Rettung der Passagiere. Sie wurden auf einen anderen Dampfer umgeladen, verpassten aber ihren Zug nach München." Damals war dies alles kein Problem: Schnell wurde nach München telegraphiert, man brauche noch einen Zug. Dieser kam selbstverständlich. Die vornehme Gesellschaft konnte noch um ein Uhr nachts nach München gefahren werden. "Heute wäre das unvorstellbar", schmunzelt Hiltmann.
Kochen in der Geschichte
Auf der Amper geht es jetzt ruhiger zu. Ein letzter Zeitzeuge steht allerdings noch: Das Dampfschiff in Grafrath. Seit 2001 sind die Wirtsleute Braun hier beheimatet und bereiten in dem alten Haus, welches erstmals urkundlich 1880 zur Eröffnung des Anlegepunktes Grafrath erwähnt wurde, ihre Gerichte zu. "Das Dampfschiff hätte sicherlich viele Geschichten zu erzählen, wenn es denn sprechen könnte", weiß Richard Braun.
In der gemütlichen Stube hängen alte Fotos des Hauses, von 1880 bis heute. "Wo heute die Theke steht, waren früher vermutlich die ersten Sanitäranlagen, den Wintergarten gab es natürlich noch nicht und die heutige Tür, die in den Gastraum führt, war damals vermutlich die Eingangstür", so Braun. Er und seine Famile vergrößerten das Dampfschiff nach und nach, ohne seinen alten Charakter dabei zu verändern. "Die Geschichte soll ja erhalten bleiben", erklärt er.
Am alten Anlegepunkt in Stegen lebt noch ein Stück Geschichte weiter. Noch immer fahren auf dem Ammersee Dampfer, allerdings nicht mehr nach Grafrath. Sie ziehen ihre Kreise nur noch auf dem Ammersee. Und auch die Mooskuh hört man manchmal noch zwischen Stegen und Grafrath im Nebel klagen.
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH