Doch, Sparen lohnt sich!
Konsumieren, investieren oder sparen - was macht jetzt Sinn?
Die Deutschen gelten als die großen Sparer. Nicht nur die deutschen Bürger wollen ihr Geld lieber auf der hohen Kante sehen, auch die Bundesregierung ist stolz auf die „Schwarze Null“, mit der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im vergangenen Jahr verkündete, dass es keine Neuverschuldung gab. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) aber verführt Verbraucher derzeit dazu, ihr Geld auszugeben anstatt es zu sparen. Laut Studie des Marktforschungsinstituts GfK nutzen 42 Prozent der deutschen Haushalte eine Finanzierung. In den Jahren vor 2010, als die Zinsen noch nicht so niedrig waren, nahmen 38 Prozent eine Finanzierung in Anspruch. Ist Sparen derzeit also nicht nur out sondern macht einfach keinen Sinn? Wenn das Geld auf der Bank ohnehin keine Zinsen bringt? Über die Fragen rund ums Thema „Sparen“ diskutierten unsere Gäste beim Sommergespräch. Im Hirschgarten sprachen Vertreter verschiedener Institutionen und Vereine miteinander und kamen zu dem einigen Schluss: Doch, sparen macht auch heute noch Sinn!
„Banken mehr in die Pflicht nehmen“
„Der Bezug zum Geld hat sich sehr verändert“, beobachtet Sascha Straub von der Verbraucherzentrale. „Es ist politisch gewollt, dass man mehr investiert und Kredite aufnimmt. Die Anreize sind da.“ Die EZB senkte den Leitzins und lädt damit die Bürger dazu ein, mehr zu investieren und zu konsumieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Viele Menschen folgen dieser Aufforderung, aber nicht jeder kann sich eine Investition auch wirklich leisten. Ein großes Thema ist etwa die Finanzierung von Immobilien. „In unserer Immobilienfinanzierungsberatung müssen wir so etwa jeden Dritten, jeden Vierten darauf hinweisen, dass die Finanzierung langfristig sicherlich ein Problem werden wird, weil alles sehr stark auf Kante genäht ist“, meint Straub. Man müsse Banken bei der Kreditvergabe mehr in die Pflicht nehmen: „Kreditgeber müssten viel stärker darauf achten, ob ein Kredit auch tragfähig ist.“ Eine Fehlinvestition oder ein Kredit, in dem keine Eventualitäten wie etwa Arbeitsplatzverlust oder Krankheit einkalkuliert sind, können zur Verschuldung führen.
Viele machen Schulden, weil sie müssen
Nicht jeder aber, der einen Kredit aufnimmt, tut dies, um in vermeintlich langfristig wertige Projekte zu investieren. Christa Kaindl vom Sozialreferat weiß, dass viele Menschen Schulden machen, um ihren Alltag zu finanzieren: „Die Mär von dem Schuldner, der leichtfertig Schulden macht und Kredite aufnimmt, stimmt so nicht. 80 Prozent der Personen, die sich verschulden, machen das aufgrund externer Faktoren. Das sind Arbeitslosigkeit oder niedriges Erwerbseinkommen oder andere Lebensumstände. Nach meiner Erfahrung in der Schuldnerberatung macht das Klientel, das zu mir kommt, Schulden, um Dinge zu kaufen, die man braucht, wie zum Beispiel einen Kühlschrank, eine Waschmaschine oder die Wohnungseinrichtung.“ Ein Darlehen oder eine Ratenzahlung ist für viele nicht nur eine attraktiv gewordene Option, sondern nötig, um die Lebenshaltungskosten zu decken. „Und wenn es einem leicht gemacht wird, dann passiert das auch schneller, dass man Schulden macht“, erklärt Kaindl.
Jugendliche muss man Sparsamkeit lehren
Günstige Verbraucherkredite, Darlehen, Null-Prozent Finanzierungen oder attraktive Leasingverträge locken – die Hemmschwelle zum Schuldenmachen ist gesunken. Besonders bei Kindern und Jugendlichen habe sich im Umgang mit Geld viel verändert, glaubt Thomas Fichtner, Leiter der Wirtschaftsschule Kermess. Dies liege auch an dem immer stärker werdenden Konsummarketing. Werbung, die suggeriert 'Du brauchst etwas Neues' verführe die Jungen zum Kauf. „Es hat sich gar nicht so sehr das Motiv geändert. Wir wollten früher vielleicht auch ein neues Fahrrad. Aber die Masse dessen, was man haben muss, ist eine andere. Jetzt muss man ein Fahrrad haben, ein Handy, einen Computer. Und das sind Budgets, bei denen ich mich wundere, woher das kommen kann.“ Auch beobachte er die zunehmende Wegwerfmentalität der Jugendlichen. Das neuste Handy muss her, obwohl das „alte“ erst vor ein paar Monaten gekauft wurde und noch gut funktioniert. Die Wirtschaftsschule will ihren Schülern einen achtsamen Umgang mit Geld und Besitz beibringen. Wertschätzung sei eine wichtige Lehre, betont Fichtner: „Sparen ist für uns als pädagogische Institution nicht nur aufs Geld bezogen, sondern auch auf Rohstoffe oder auch die Dinge, die ich mir angeschafft habe und mit denen ich pfleglich und langlebig umgehen sollte. Das sind Inhalte, die man Kindern und Jugendlichen heute auf jeden Fall beibringen sollte.“
Leben auf Pump – typisch für unsere Zeit
Verzicht, auf etwas hin sparen, warten, bis sich ein Wunsch erfüllt – bei Jugendlichen heute nicht mehr üblich? „Verzicht ist auch eine Form des Sparens. Aber das ist heute ganz schwierig zu vermitteln, weil Jugendliche in einer Welt leben, die ihnen laufend das Gegenteil vorzeigt“, meint Thomas Fichtner.
Sind Konsum und Leben auf Pump also typisch für unsere Zeit? Eugen Kuntze vom Zukunftsverein „Agenda 21“ meint „Ja.“ Er weiß, wie wichtig das Sparen auch im Umgang mit der Natur, mit den Ressourcen ist. Jetzt bereits seien zum Beispiel die Vorräte für das Jahr 2016 verbraucht. „Den Rest des Jahres leben wir also auf Pump. Auf Pump künftiger Generationen, was Rohstoffe und Energie betrifft“, so Kuntze. Der Lebensstil habe sich verändert und der Gedanke „nach mir die Sintflut“ scheine heute zu gelten. Finanziell wie auch im ökologischen Bewusstsein, müssten sich die Menschen besinnen und zwischen Konsum und nachhaltiger Investition unterscheiden: „Ich kann heute gut jemandem raten, Schulden zu machen, wenn er dafür ein werthaltiges Objekt kauft. Das gilt auch für die Staatsfinanzen, wenn Brücken instand gesetzt werden oder das Bildungswesen fit gemacht wird.“
Sparen als Vorsorge ist immer sinnvoll
Früher noch galten Wohnungsbauprämien und staatliche Förderungen für Sparer. „Man wollte, dass die Bevölkerung Vermögen aufbaut“, erinnert Kuntze. Heute steuert die Politik ins Gegenteil und fordert zum Geldausgeben auf. Warum aber sind die Zinsen überhaupt so mickrig und verführen zum Geldausgeben? Die Ursache dafür sieht Reinhard Andres von der Raiffeisenbank München-Süd in der Europapolitik: „Der politische Wille der überschuldeten europäischen Staaten steckt dahinter.“ Vordergründig gehe es zwar darum, die Konjunktur zu beleben, eigentlich aber sei es der Wunsch der überschuldeten Staaten, sich durch die Niedrigzinspolitik zu entschulden, erklärt Andres.
Die Niedrigzinspolitik bringt viel Verunsicherung bei den Sparern: Sollen wir überhaupt noch sparen? Oder uns lieber materielle Herzenswünsche erfüllen, weil das Geld eh seinen Wert verliert? „Wir animieren unsere Kunden zum Sparen“, betont Andres. Auch wenn es derzeit unattraktiv erscheint, sollte man Geld auf die Seite legen. Sparen für Investitionen einerseits und für Vorsorge anderseits hält Andres für sinnvoll: „Die Vorsorge für Unvorhergesehenes sollte man nicht vergessen. Und Vorsorge ist ganz unabhängig von der Höhe des Zinses.“ Sparen lohnt sich also. Und Geld hat Zukunfts-Wert.
Schon Kinder müssen lernen, was Geld wert ist
Den Umgang mit Geld und das rechte Haushalten müssten daher schon die Jüngsten lernen, meint Petra Windisch de Lates von der Deutschen Lebensbrücke: „Es ist wichtig, dass Kinder schon in der Schule lernen, dass Geld nicht aus dem Automaten kommt. Dass sie lernen, was Geld wert ist.“ Unter anderem mit dem Projekt „KinderCash“ setzt sich der Verein in Grundschulen ein und vermittelt hier Finanz- wie auch Wertekompetenzen. „Es ist ganz wichtig, dass Kinder Taschengeld bekommen, um den Umgang mit Geld zu lernen“, glaubt Petra Windisch de Lates.
Das im Projekt Gelernte nehmen die Kinder mit nach Hause und übernehmen nicht selten Vorbildfunktion für die Eltern. Denn häufig unterlägen bereits die Eltern dem Konsumzwang und gäben diesen an ihre Kinder weiter. Angesagte Schuhe oder Label-Shirts – bei den Jüngsten schon wichtig. Sparen für die Zukunft oder sparen, um sich einen Wunsch zu erfüllen, das hätten viele Familien, mit denen der Verein zusammenarbeitet, nicht mehr im Bewusstsein. Wertevermittlung stehe daher für die Vereinsprojekte im Vordergrund, erläutert Windisch de Lates. Dazu gehöre, den Kindern ihren Selbstwert zu vermitteln. Auf Konsum zu verzichten, das müsste stärker auch in den Schulen gelehrt werden. „Konsum-Erziehung ist wie Selbstwerterziehung“, bestätigt auch Christa Kaindl. „Es hat was mit dem Selbstwert zu tun, ob ich glaube, dass ich das neueste Handy brauche oder nicht.“
Tipps rund ums Geld
Taschengeldregeln hält auch Kaindl für wichtig, um den Jüngsten ein Gefühl für Geld zu vermitteln. Als Faustregel gilt: Ab 6 Jahren 1 – 1,50 Euro, ab 9 Jahren 2,50 – 3 Euro pro Woche. Die 13-Jährigen könnten 20 Euro pro Monat und die 18-Jährigen 60 Euro pro Monat bekommen.
Ein Haushaltsbuch zu führen, halten unsere Gesprächsteilnehmer einhellig für sinnvoll. Es hilft dabei, sich einen Überblick über Einnahmen und Ausgaben zu verschaffen und herauszufinden, wofür Geld nötig oder übrig ist. Sascha Straub rät: „Ehrlich muss man sein und auch fleißig. Und ein Haushaltsbuch sollte man langfristig führen.“ Ob handschriftlich, per Excel-Tabelle oder aber mit technischer Hilfe aus dem Netz – ein Haushaltsbuch leistet gute Dienste. Tipps und auch eine App bietet etwa die Seite www.verbraucherservice-bayern.de. Ein Tipp von Christa Kaindl ist zudem, dass Verbraucher ein Konsumbewusstsein entwickeln: „Man sollte sich überlegen: Was brauche ich tatsächlich und was will ich nur so.“
Sparen birgt Chancen
„Chancenreichtum zu haben ist doch etwas Tolles. In jedem Moment, in dem ich Geld für eine Sache ausgebe, beraube ich mich aber der Chancen und Alternativen. Dieses Bewusstsein, für den Chancenreichtum eines Vermögens oder sinnvoll gefüllten Sparkontos, kann man positiv herausstellen. Dann verliert das Sparen auch seinen negativen Touch“, fasst Eugen Kuntze zusammen. Sparen, auf ein Ziel hin oder um langfristig sowie nachhaltig zu investieren und vorzusorgen, lohnt sich – so die einmütige Meinung beim Sommergespräch. Schulden machen, um Konsum zu finanzieren hingegen ist zu kurz gedacht.
Unsere Sommer-Frage
Worauf haben Sie als Kind gespart? Unsere Gäste antworteten:
Reinhard Andres: Als ich kleiner war, habe ich unglaublich gerne in Bücher investiert. Mit 16 habe ich vom Ersparten den Führerschein und ein Mopet bar bezahlt.
Dr. Thomas Fichtner: Ein großes Sparziel war ein Segelflieger mit Fernsteuerung. Als ich das Geld dafür hatte, habe ich den aber nicht mehr gekauft. Später, mit 17 Jahren, habe ich für 1.500 Mark eine Spiegelreflexkamera gekauft.
Christa Kaindl: Mit 6 Jahren habe ich immer alle Pfennige gespart und irgendwann hatte ich 80. Davon habe mir die roten Schaumgummi-Herzen gekauft. Mit 12 habe ich dann auf meine erste Marken-Jeans gespart.
Eugen Kuntze: Ich habe irgendwann auf ein Tonbandgerät gespart und mir das auch gekauft. Das liegt jetzt im Keller und ist so out, das es nicht mehr funktioniert.
Sascha Straub: Ich hatte diverse Sparziele, die ich aber nie erreicht habe, weil immer ein Geburtstag oder Weihnachten dazwischen kam und ich die Sachen geschenkt bekam. Also habe ich mein Geld immer wieder aufs Sparbuch getan und mir dann als Student mein erstes Smartphone gekauft.
Petra Windisch de Lates: Ab 12 Jahren hab ich all mein Taschengeld und was ich gespart und erarbeitet habe für Reisen ausgegeben.
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Reinhard Andres (Vorstand Raiffeisenbank München-Süd eG)
Dr. Thomas Fichtner (Leiter Wirtschaftsschule Kermess)
Christa Kaindl (Amt für Soziale Sicherung LHM, Schuldner-/Insolvenzberatung, Steuerung Hauswirtschaftliche Beratung und Schuldenprävention / Finanzielle Allgemeinbildung)
Eugen Kuntze (Agenda 21 in Hadern)
Sascha Straub (Verbraucherzentrale, Referatsleiter Finanzdienstleistungen)
Petra Windisch de Lates (Vorstandsvorsitzende Deutsche Lebensbrücke e.V.).
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