Der Hüter des Wort-Schatzes
Besuch bei einem Sprachpapst: Wolf Schneider über Beginnen und Aufhören, Quatsch und Nebensätze, die Geschlechter und einen Weltrekord
Wie beginnt man einen Beitrag über einen Mann, der genau weiß, wie man einen Beitrag beginnt? Vielleicht so:
„Die wenigsten Leser erreichen die letzte Zeile eines Textes“, kritisiert Wolf Schneider Zeitungen. Sein Leben lang zeigt er Kollegen, wie man das besser macht. „Sprachpapst“ hat man ihn deswegen genannt. Dabei setzt er sich für etwas Selbstverständliches ein: lesbare, verständliche Texte. Etliche „So geht‘s“-Bücher hat er darüber geschrieben. Mit unnachgiebiger Klarheit und ungebrochener Leidenschaft für Sprache kämpft der inzwischen 93-Jährige gegen Schachtelsätze, gegen unnötige Adjektive, gegen eingeschobene Nebensätze, einfallslose Überschriften.
Mit seiner Frau Lilo wohnt Wolf Schneider in Starnberg. Nach einem erfüllten Berufsleben ist das Paar hierher zurückgekehrt. Vor 53 Jahren hatten die beiden in der Stadt am See ihre erste Wohnung bezogen. 1966 war das. Zwei Jahre später erschien das Parsberg Echo zum ersten Mal. Da war Schneider schon wieder weg und kümmerte sich um Blätter, die es - wie das Parsberg Echo - noch heute gibt. Für die Macher aller Zeitungen und Zeitschriften formuliert Schneider die Schlüsselfrage: „Was will man denn von seinem Leser?“ Die Antwort ist nicht schwieriger als früher. Sie ist aber noch wichtiger geworden in einer Zeit, in der jeder Schreiberling im Wettbewerb mit immer mehr anderen Medien steht.
Fehler und Feinde
Sprache verändert sich ständig und passt sich an. Diese Veränderungen hat Schneider kritisch begleitet. „Die Flut der Anglizismen nimmt zu“, sagt er, „dieser Quatsch steigert sich immer noch.“ Schneider nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er Kollegen kritisiert. Seine Bewertung ist klar und nachvollziehbar – und fühlt sich daher manchmal an wie eine Ohrfeige: „Die Qualität der Texte ist so schlecht wie nie zuvor“, so sein Urteil. „Der grundlegende Fehler vieler Journalisten ist: Sie haben nie gelernt, wie man verständlich schreibt. Sie glauben gegen jede Statistik an einen Leser, der ihre Texte bis zum Ende liest.“ Schneider rüttelt nur zu gerne wach: „Das Aufhören ist die Normalität!“ Journalismus ist für ihn „das Gegenteil von dem, was heute an den Universitäten gelehrt wird“. Zu Beginn mancher seiner Seminare machen Deutschlehrer in ihm „den Feind“ aus, der ihre Regeln und Überzeugungen in Frage stellt. Das hält nicht lange an. Denn beiden geht es um eines: gutes Deutsch.
Sterne und SternInnen
„Das ist alles Quatsch!“ Der Gendersprache und -schrift, die Diskriminierung zu verhindern trachtet, kann Schneider nichts abgewinnen. Binnen-I und Zwischensternchen sollen zeigen, dass Sprache kein Geschlecht ausschließen will. „Das ist eine Verschlimmerung und Verumständlichung, eine Verkrampfung von Sprache.“ Das grammatikalische Geschlecht hat mit dem biologischen absolut nichts zu tun. Schneiders Beispiel ist der Inbegriff aller Weiblichkeit: „das“ Weib. „Der Löwe, die Giraffe, das Zebra“, ergänzt er, „das Genus ist immer anders und trotzdem hat jede dieser Tierarten zwei biologische Geschlechter.“
Karriere und Unabhängigkeit
„Man hat mich immer geholt“, erzählt Wolf Schneider über seine Karriere. Nach dem Krieg wurden Journalisten gesucht, die eine unabhängige Presse aufbauen konnten. Ihnen standen alle Wege offen. 64 Jahre war Wolf Schneider Journalist, über 100 Seminare für Texter hat er angeboten, an fünf Journalistenschulen Nachwuchs ausgebildet. Würde er den Beruf heute nochmal ergreifen? „Nein“, er Schneider. Anders als zu seiner Zeit seien die Arbeitsplätze für Journalisten zu unsicher. Er selbst hat sich rechtzeitig mit seinen Büchern ein zweites Standbein geschaffen, um unabhängig zu bleiben. „Ich habe lieber aufgehört, bevor ich den Brief bekomme, mit dem man mich nach Hause schickt.“
„Sie hat immer Recht!“
„Mit Computern kenne ich mich nicht aus“, erzählt Schneider, „ich kann die nicht mal einschalten.“ Was er schreibt, schreibt er nach den Korrekturen erneut. „Das Schriftbild am PC ist sauber und damit trügerisch“, sagt er und zeigt seine Manuskripte: Es sind Blätter voller Ergänzungen, Streichungen, Anmerkungen. Sie alle fließen in den endgültigen Text ein. „Ich habe alles, auch meine Bücher, zweimal geschrieben!“ Den eigenen Text laut lesen hilft, Fehlerhaftes zu finden. Noch besser: Texte gegenlesen lassen. Das überlässt Wolf Schneider am liebsten seiner Frau. „Sie hat immer Recht!“ sagt er. "Wenn sie etwas nicht versteht, erkläre ich es nicht, sondern schreibe es besser.“ Vor 53 Jahren haben die beiden geheiratet: „Das war die wichtigste Entscheidung meines Lebens!"
Romantik und Weltrekord
1966 heirateten Lilo und Wolf Schneider und bezogen eine erste Wohnung in Starnberg. Noch im selben Jahr folgte Schneider Nannens Ruf nach Hamburg. Nach einem langen Berufsleben fanden Schneiders in Mallorca eine neue Heimat. „Wir fangen noch mal ganz neu an“, hatten sie sich versprochen und bauten in einem Alter, in dem andere in Rente gehen, ein Häuschen auf der Urlaubsinsel – so abgelegen, dass eine eigene Stromversorgung eingerichtet werden musste.
Vier Kinder hat das Paar. Um ihnen und den Enkeln (die heute zwischen vier und 41 Jahre alt sind) näher zu sein, kehrten sie schließlich nach Deutschland zurück. Wo sollten sie wohnen? Potsdam (von dort stammt Lilo Schneider) oder Starnberg standen zur Wahl. „Vier Punkte sprachen für Starnberg“, erzählt Schneider: die romantische Erinnerung an die erste Wohnung hier, die Nähe zur Familie (Starnberg liegt in der Mitte zwischen deren Wohnorten), die Nähe zu den Alpen und die „Weltrekord-Lage“. Damit meint Schneider Starnberg als Ausgangspunkt für Ausflüge und Reisen: „In einer Stunde ist man in Tirol, in zwei in Salzburg, in drei in Italien – besser geht es nicht.“
Jung und Alt
Ebenso leicht ist Starnberg von überall her erreichbar – viele ehemalige Schüler besuchen ihn gerne und häufig. In dem offenen Haus werden Gäste auch schon mal mit Fanfarenklängen begrüßt, wenn sie die schmale Treppe durch den Garten hinauf zur Terrasse schreiten. Schneider freut sich auf seine Gäste. Die jungen Kollegen haben viel von ihm gelernt. Lernt ein „alter Hase“ auch von den Jungen? Schneider zögert kurz und antwortet mit einem respektvollen Nein. „Ich schätze die Besuche meiner ehemaligen Schüler und verfolge mit Interesse, was sie tun!“
Ein preisgekröntes Leben
Wolf Schneider wurde 1925 in Erfurt geboren. Er war Soldat von 1943 bis 1945, danach Übersetzer für die US-Army. Es folgten Stationen bei der Nachrichtenagentur Associated Press und der Süddeutschen Zeitung in Washington.
1966 holte Henri Nannen Schneider zum „stern“ nach Hamburg, wo er schließlich als Verlagsleiter arbeitete. Schneider war Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“ und Moderator der „NDR-Talk-Show“.
1978 übernahm Schneider die Leitung der Hamburger Journalistenschule, die später nach Henri Nannen benannt wurde. 16 Jahre lang war er für die Ausbildung junger Journalisten verantwortlich.
2011 erhielt Schneider den Henri-Nannen-Preis für sein publizistisches und journalistisches Lebenswerk. „Wolf Schneider prägte mit seiner Arbeit eine ganze Journalisten-Generation. Viele seiner Schüler gehören heute zu den führenden Köpfen unserer Medienlandschaft“, begründete „stern“-Chefredakteur Andreas Petzold die Ehrung. 2012 wurde er vom „Medium Magazin“ als Journalist des Jahres für sein Lebenswerk geehrt. Schneider ist zudem Träger des „Medienpreises für Sprachkultur“ der Gesellschaft für deutsche Sprache. Er hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, darunter Standardwerke zu Sprache, Stil und Journalismus.
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