Fisch wie Wurst
Fastenspeise aus dem Mittelalter
Für unser heutiges Rezept begeben wir uns auf Zeitreise und zwar in die Agrarhistorische Bibliothek nach Herrsching. Dort lagert ein Klassiker der Kochbuchliteratur: Balthasar Staindels „ein künstlichs unnd nutzlichs Kochbuch“ aus dem Jahr 1556. Die Rezeptesammlung aus der Renaissance ist das erste Lehrbuch der bürgerlichen Küche. Es gab 15 Auflagen. Ein wenig muss man sich in die alte Schrift mit ihrer wechselnden Orthografie einlesen. Bei den Rezepten fehlen Mengenangaben und Garzeiten, „das muss man für sich selbst herausfinden“, rät Bibliothekarin Katharina Höninger. Manche Kompositionen scheinen für den heutigen Gaumen ungewöhnlich, aber wer sich auf das Experiment einlässt, wird positiv überrascht sein „und kann seine Sinne für Gewürze schulen“, sagt die Leiterin der Bibliothek.
Für die Fastenzeit empfiehlt Katharina Höninger „Fischwürste“. Sie sind geschmacklich an Bratwürste angelehnt, können als kleine Mahlzeit oder in Stücken geschnitten als Suppeneinlage verzehrt werden.
Das benötigt man:
Saibling, am besten Filets, es können aber auch weniger edle Fische verwendet werden
Das Innere von Semmeln (weniger als die Hälfte des Fisches)
Rosinen (im Mittelalter: „Weinbern“)
Zimt
Muskatnuss
Muskatblüte
Salz
Pfeffer
Gemüsebrühe
Im Originalrezept heißt es „so hack das braet klein/nimb ein molen von einer semel/hacks auch darunder/aber nit halb so viel als des braets".
Katharina Höninger bedient sich den modernen Küchengeräten. Für das Rezept hat sie die Saiblingsfilets mit dem Pürierstab zerkleinert und anschließend die Masse, wie man es von Fleischpflanzerln kennt, mit den Semmelstückchen vermischt. Der Tipp der Köchin: Altbackene Semmeln verwenden, die lassen sich leichter untermischen.
Rosinen geben die säuerliche Note
Zur Masse werden nun klein gehackte Rosinen hinzugefügt. Höninger verwendet dafür ein Wiegemesser: "Die Rosinen geben dem Ganzen eine säuerliche Note.“
Schon im Mittelalter standen exotische Gewürze hoch im Kurs. Da die Kochbücher ohne Mengenangaben auskommen, empfiehlt unsere Köchin, erst Geruchsproben zu machen und dann nach persönlicher Vorliebe das eine oder andere Gewürz sparsamer oder großzügiger zu verwenden. „Muskatblüte ist zum Beispiel ein wenig herber als Muskatnuss“, hat Höninger festgestellt. Der Tipp der Köchin: Zimt sparsam verwenden.
Kleine „Würste“ rollen
Jetzt rät Kochbuchautor Staindel: „Netz die hend in ein schoens laws wasser“. Höninger befeuchtet also ihre Hände mit lauwarmen Wasser und rollt die Masse zu kleinen Würsten. „wie ein Wurst nicht zu lang“ heißt es im Original. Höninger hat sich für eine Cevapcici-Größe entschieden.
Im Mittelalter wurde die Masse dann auf „Spißlin“ gesteckt und in der Glut des Herdofens gehalten „so es nun hart wirt“.
„Ich hab die Würste im Backofen auf 50 Grad getrocknet", so Höninger. Dieser Schritt ist wichtig, damit die Masse nicht auseinanderfällt.
Ab in den Kochtopf
Für die nächsten Schritte nimmt sie die Hilfe von Koch Simon Bolata in Anspruch. Er hat in der Küche des Hauses der bayerischen Landwirtschaft schon eine Gemüsebrühe vorbereitet. In diese werden die Würste vorsichtig eingelegt, circa 15 Minuten sieden lassen. Im Kochbuch wird eine „Erbeßbrue“ verwendet. Ein Extrarezept dafür hat Höninger nicht gefunden. Sie empfiehlt eine Gemüsebrühe. Der Tipp der Köchin: „Man kann ruhig eine fertige Gemüsebrühe verwenden." Wer möchte, kann sie natürlich mit Wurzelgemüse selbst zubereiten.
Wenn die Fischwürste fertig sind, werden sie mit ein wenig Wurzelgemüse dekorativ angerichtet oder in Stücke geschnitten und als Einlage für eine Fastensuppe verwendet.
„Der Geschmack ähnelt Bratwürsten“, findet Höninger. Die Gewürze verleihen dem Gericht eine raffinierte Note – vor allem die Rosinen bilden mit dem Fisch eine unerwartet passende Kombination.
Infobox
Im Mittelalter war die Fastenzeit die „fleischlose" Zeit. Bei der Fastenküche ging es deshalb häufig darum, einen möglichst fleischähnlichen Ersatz zuzubereiten. Dank der Gewürze wurde der Eigengeschmack des Fisches so unterdrückt, dass er auch Fleisch hätte sein können. Manchmal wurden aus der Fischmasse Hasen, Schweine oder Geflügel geformt. Oder es wurde anders herum getrickst: Schwein, Geflügel und Wild wurden zu einer knetfähigen Masse zerkleinert und zu Fischen geformt.
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