"Begräbnisse sind weltlicher geworden"
Wie haben sich die Gebräuche bei Bestattungen in den letzten Jahrzehnten verändert? Geistliche aus dem Fünf-Seen-Land geben ihre Erfahrungen wieder:
"Begräbnisse sind weltlicher geworden"
Stadtpfarrer Dr. Andreas Jall aus Starnberg:
Als Pfarrer merke ich, dass die Begräbniskultur in den letzten 50 Jahren viel weltlicher geworden ist. Viele Angehörige legen keinen Wert mehr auf eine Heilige Messe am Altar, obwohl das das Kernelement einer kirchlichen Begräbnisfeier ist, sondern beschränken sich auf eine Verabschiedung in der Aussegnungshalle. Die Säkularisierung macht sich auch bei der Beisetzung bemerkbar, denn es wird anstatt religiöser mehr Musik aus dem Alltagsleben gewünscht. Das Bedürfnis nach Ritus und Zeremonie ist bei den Hinterbliebenen natürlich nach wie vor da, aber die kirchliche Sprache wird weniger verstanden. Auch die Art der Beisetzung erfolgt immer mehr nach praktischen anstatt religiösen Aspekten, so ist zum Beispiel die Zahl der Urnenbestattungen stark angestiegen.
"Sterben war im Alltag gegenwärtiger"
Pastor Thomas Scheitacker, Freie evangelische Gemeinde Germering:
"Früher war das Sterben im Alltag gegenwärtiger. Deutlich mehr Menschen starben zu Hause im Kreise ihrer Familie. Durch die schlechtere medizinische Versorgung starben auch häufiger Kinder oder Leute im mittleren Lebensalter. Dadurch war den Menschen bewusster, dass ihr Leben begrenzt ist und sie eines Tages von dieser Erde gehen und alles zurücklassen müssen. Dieses Wissen beeinflusste auch das irdische Leben. Die „Ewigkeitsperspektive“, also die Frage, was nach dem Tod kommt, spielte eine größere Rolle im Leben. Die hoffnungsvolle Aussicht von Christen, eines Tages bei Gott sein zu dürfen, gab oft Kraft und Mut für das diesseitige Leben und halb beim Abschiednehmen von dieser Erde.
Durch die Tabuisierung des Todes haben viele verlernt zu trauern oder mit Angehörigen umzugehen. Wenn ein Todesfall eintritt, sind manche verunsichert und wissen nicht, wie sie sich in Bezug auf die Hinterbliebenen verhalten sollen.
"Trauende bleiben mit dem Abschied allein"
Engelbert Birkle, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Weilheim:
Es gibt für mich kaum ein anderes Feld der Seelsorge in dem „Veränderung“ so rasant spürbar wird.
Vor 50 Jahren war ich ein kleiner Ministrant. Da war die Beisetzung eines Verstobenen getragen vom ganzen Ort. Natürlich hat die Familie Abschied genommen. Aber selbstverständlich war auch „die Gemeinde“ mit dabei, um einem Mitglied der Dorf- und Kirchengemeinde die letzte Ehre zu erweisen.
Heute begrenzt sich der Kreis der Abschiednehmenden oft auf die Familie und engste Freunde. Ich vermisse dann den großen Kreis „der Gemeinde“.
Die zweite große Veränderung sind die zunehmenden Feuerbestattungen. Mich beschäftigt dabei, dass bei Urnenbeisetzungen zwischen Tod und Beisetzung eine längere Zeit liegt, manchmal auch Monate. Die Trauenden bleiben mit dem Abschied allein, weil ja erst bei der Beisetzung der Tod eines Menschen öffentlich wird. Mein Anliegen wäre, dass die Verabschiedung des Toten noch vor der Kremation am Sarg stattfindet. Viele wissen vermutlich gar nicht, dass das möglich ist.
"In Würde sterben dürfen ist ein großer Wert"
Pastoralreferent Christian Kube, Stadtkirche Germering:
In den letzten Jahren, so kommt es mir vor, ist das Bewusstsein wieder mehr gewachsen, dass in Würde sterben dürfen und können ein großer Wert ist, dass medizinisch nicht alles ausgereizt werden muss, sondern vielmehr die persönliche Zuwendung das Wichtigste ist – auch wenn ich als Angehöriger dabei selber an meine Grenzen stoße und lernen muss, damit umzugehen.
All diesen Gefühlen Raum zu geben, dazu dient bei uns das obligatorische seelsorgerliche Gespräch mit den Angehörigen vor jedem Gottesdienst und der Beisetzung. Diese gottesdienstliche Feier ist mittlerweile meist keine Heilige Messe (Requiem) mehr, sondern hat die Form eines Wortgottesdienstes. Wichtig ist den Angehörigen dabei, dass in dieser Feier etwas von dem, was den Verstorbenen ausgemacht hat, zur Sprache kommt – Licht- und Schattenseiten.
Die gottesdienstliche Feier mit ihren Riten und ihrem Rahmen wird in allem Gefühlschaos und in aller äußerer Hektik noch immer als wertvolles, stabilisierendes Element empfunden.
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