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Maria Weiß in Untermenzing

Ein exemplarisches Einzelschicksal im Zweiten Weltkrieg

Bild 1 (Bild: Sammlung Degen)

Am Freitag, dem 21.07.1944, standen zum wiederholten Male deutsche Flugmotorenwerke, Jägerfertigungsstätten, Flughäfen und Kugellagerfabriken in ganz Süddeutschland auf dem Programm der 8. US-Luftflotte. Von der 2454 Gesamt-Abwurftonnage bekam München, das von etwa 100 Bombern vom Typ Liberator angeflogen wurde, 484 Tonnen ab. Dieser als mittelschwer eingeschätzte Angriff kostete nach einer Schadensübersicht der Stadtverwaltung 80 Menschen das Leben. Ob auch Frau Maria Weiß und ihr Zögling damit erfaßt sind, läßt sich hier nicht feststellen. Interessierte Leser seien auf das Buch (Bild 2) von Irmtraud Permooser verwiesen, die alle Luftangriffe auf München nach Jahr, Tag und Stunde beschreibt.

Nun soll hier der Versuch unternommen werden, späteren Generationen das tragische Schicksal einer einzelnen Person in Untermenzing anhand von Aufzeichnungen, Schilderungen von Nachbarn und Fotos der heute 93-jährigen Tochter aufzuzeigen.

Die Luftaufnahme zur Einführung (Bild 1) zeigt uns den an der Stelle des 1944 von einer Fliegerbombe getroffenen Hauses heute an der Hortigstr.1 bestehenden Neubau. Vom alten, von einer Bombe zerstörten Haus ist nur noch Bild 1 (oben links) erhalten, das den damals noch jungen Sohn Franz, vor dem Eingang zeigt.

Zunächst eine wissenschaftlich belegte Feststellung (Bild 2): Am 21.07.1944 griff die amerikanische Luftflotte von 10.09 Uhr bis 11.55 Uhr München an. Ziel war das weitere Stadtgebiet mit Dornier Neuaubing und Oberpfaffenhofen, die Industrieschäden waren offensichtlich gering, gemeldet wurden Gleisschäden, Treffer am Ostbahnhof und Flächenschäden im Gebiet um die Ludwigsbrücke und Neuhausen. Keine Meldung also von Untermenzing!

Aus dem in der Gabelsberger Kurzschrift notierten Tagesbuch der Nachbarin Frau Schulz, geb. Hipp, das mir ihre Tochter zur Verfügung stellte: „Spazieren. Um 12 Uhr heimgekommen. Um 1/2 11 Uhr Fliegeralarm. Bombenvolltreffer auf unsere Werkstatt und auf das Haus von Weiß“. Es handelte sich also um zwei Bomben, von denen eine die Hortigstr. 1, die zweite die gegenüberliegende Schreinerei Hipp traf. Welche die erste und welche die zweite Bombe war, läßt sich nicht mehr feststellen.

Auch zum Bombenabwurf lassen sich nur Vermutungen anstellen. Er könnte, wenn mehrere Flugzeuge auch über unser Gebiet flogen, Krauss-Maffei gegolten haben, ging aber nicht weit daneben. Denkbar und oft vorgekommen ist, dass ein Bomber seine Hauptlast bereits über Neuhausen abgeladen hatte, die verbliebenen aber noch „loshaben wollte“ und sie über Untermenzing streute.

Besonderes Pech hatten nun Maria Weiß und deren Pflegekind Harry (Bild 3 rechts unten), 12jährig und in der Uniform eines jungen Luftschutzhelfers, die in ihrem Haus am Rande der Angerlohe durch die Bombe ums Leben kamen. Herr Weiß (Bild 3, Mitte links), der wegen schwerer Handverletzungen nicht wehrdiensttauglich war, war zu diesem Zeitpunkt als Bankbote unterwegs und mußte erst nach seiner Rückkehr am Abend das ganze Elend erleben.

Ihre heute 93-jährige Tochter erzählte mir den Ablauf wie folgt. Voraus schickte sie, dass ihre Mutter nicht sterben hätte müssen, wenn das Attentat auf Hitler am 20.07.1944 geglückt wäre. Dieses Attentat gilt als bedeutendster Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Münchner verließen um diese Zeit gerade ihre Luftschutzkeller, als um 12.42 Uhr die von Graf Stauffenberg gelegte Sprengstoffladung in der „Wolfsschanze“ (in der Nähe von Rastenburg in Ostpreußen) explodierte. Ob der Luftangriff dann nicht stattgefunden hätte, ist reine Spekulation, da bei der Luftwaffe alles schon geplant war.

Nun zum Ablauf. Frau Weiß war beim Fliegeralarm um 10 Uhr zum Einkaufen in der Angerlohstraße, wo man ihr riet, sofort den Bunker in der Allacher Straße aufzusuchen. Sie vermutete aber den Harry allein zu Hause. Dieser aber brachte noch eine Frau in den Bunker, bevor er nach Hause eilte, um Frau Weiß nicht alleine zu lassen. Kaum war er zurück, schlug die Bombe ein und begrub beide in den Trümmern des Hauses. Von sofort eingetroffenen Luftschutzpersonen wurden sie nur noch tot geborgen und auf dem Obermenzinger Friedhof, wo auch das Elterngrab von Frau Weiß war, begraben.

Das Grab ist inzwischen aufgelöst (Bild 4 links), die Namen von Frau Weiß und ihres 1951 verstorbenen Mannes – nicht des Knaben – wurden auf dem Grabstein der Familie Degen (Bild 5 rechts) im Untermenzinger Friedhof ganz unten mit „Franz u. Maria Weiss“ zur Erinnerung eingemeißelt.

Auf den Hinweis von Frau Degen fand ich in der Kapelle von St. Martin den Namen von Maria Weiß unter der Tafel „Betet für unsere lieben Gefallenen“. Eine merkwürdige Anordnung, zu der nichts Weiteres bekannt ist. Hier das Bild (6) der gesamten Erinnerungstafel, auf der wir im dritten Abschnitt an 10. Stelle Maria Weiß finden.

Zum abschließenden Hinweis auf meinen Artikel „Ein besonderer Ort der Erinnerung“ im Buch „Münchener Vorstadtgeschichten. Allach-Untermenzing“ sei nochmals vermerkt, dass bei 74 Fliegerangriffen zwischen 1940 und 1945 6.632 Personen getötet und 15.800 verwundet wurden. 450 Luftminen, 61.00 Sprengbomben, 142.000 Flüssigkeitsbrandbomben und 3.316.00 Stabbrandbomben machten 300.000 Einwohner obdachlos, weil 81.500 Wohnungen und Häuser zerstört wurden.

Maria Weiß und ihr Pflegekind sind ein exemplarisches Einzelschicksal aus unserem Stadtbezirk und damit aus der bisherigen Anonymität herausgenommen.

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